Veranstaltung: | Digitaler Landesparteirat GRÜNE NRW am 28.02.2021 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesparteirat |
Beschlossen am: | 28.02.2021 |
Eingereicht: | 28.02.2021, 15:11 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Deeskalation statt Aufrüstung – Für einen Stopp des Taser-Pilotprojekts
Beschlusstext
Seit langem fordern die Fraktionen von CDU und FDP die Einführung von Distanz-
Elektroimpulsgeräten (DEIG), auch nach dem Namen des Herstellers „Taser“
genannt, für den Wachdienst der Polizei. Diese Forderung folgt weniger
sachlichen Argumenten, sondern einer ideologiegetriebenen und rein an der
Aufrüstung mit Einsatzmitteln ausgerichteten Innenpolitik dieser beiden
Parteien.
Bis 2019 lief ein Testversuch der beiden Landesoberbehörden LZPD (Landesamt für
Zentrale Polizeiliche Dienste) und LAFP (Landesamt für Ausbildung, Fortbildung
und Personalangelegenheiten) der Polizei NRW. Dieser Testversuch kam zu dem
Ergebnis, dass der DEIG nur in wenigen Einsatzsituationen, und zwar in
statischen Situationen, sicher zur Anwendung gebracht werden kann. In
tumultartigen Einsätzen oder bei Angriffen auf Polizeibeamt*innen mit einem
Messer ist der DEIG nicht das richtige Einsatzmittel. Zudem ermittelten die
beiden Landesoberbehörden einen hohen Fortbildungsbedarf für die
Polizeibeamt*innen. Denn bei dem DEIG ist zu beachten, dass der Schuss mit der
Elektropistole geübt sein muss, denn es werden zwei kleine Pfeile in die Haut
des polizeilichen Gegenübers geschossen, um dessen Muskulatur mittels eines
Stromschlags kurzzeitig zu lähmen. Ohne ausreichende Aus- und Fortbildung kann
die falsche Anwendung des DEIG auch zu einer Gefährdung der Polizeibeamt*innen
führen und damit genau das Gegenteil des gewünschten Effekts bewirken.
Anstatt das Projekt Taser nach diesem Testlauf der beiden Landesoberbehörden der
Polizei einzudampfen, rief Innenminister Herbert Reul einen weiteren Testlauf
ins Leben. Am 15. Januar 2021 war es dann soweit: Der von CDU und FDP im Landtag
NRW gewünschte Testlauf für Distanzelektroimpulsgeräte außerhalb von SEKs im
Streifendienst ist an vier Standorten mit rund 60 Geräten gestartet. Ein Jahr
lang sollen die Geräte nun in Gelsenkirchen, Düsseldorf, Dortmund und im Rhein-
Erft-Kreis erprobt werden.
Von Seiten der Polizei wird der Einsatz oft schon jetzt als Erfolg dargestellt.
Stetig wird die herausragende abschreckende Wirkung betont und dargelegt, dass
Konflikte allein durch das Drohen mit dem DEIG beendet werden können. Allein das
sichtbare Tragen der in signalgelb gehaltenen Waffe reiche schon um Konflikte zu
vermeiden. Klar ist jedoch auch: Wer mit dem Einsatz des DEIG droht, muss ihn
auch einsetzen, falls die reine Drohung keine Wirkung erzielt.
Und gerade dieser Einsatz ist entgegen vieler Behauptungen eben nicht so
ungefährlich wie von Polizeigewerkschaften, Ministeriumsseite sowie den
Fraktionen von FDP und CDU kontinuierlich behauptet. Trotz der Einstufung als
"nichttödliche Waffe" ist durch die Datenlage zu Einsätzen weltweit hinlänglich
bekannt, dass der Einsatz von DEIG zu schweren gesundheitlichen
Beeinträchtigungen bis hin zum Tod führen kann. Besonders für gefährdete
Gruppen, wie Menschen mit Herzerkrankungen, Menschen mit Erkrankungen des Herz-
Kreislauf-Systems und Menschen mit Alkohol- oder Drogenintoxikation, sowie
weiterer Risikogruppen, wie etwa Ältere oder Schwangere, ist der Einsatz
besonders gefährlich.
Wegen der verbreiteten Annahme der Ungefährlichkeit von Tasern, besteht die
ernstzunehmende Befürchtung, dass die Hemmschwelle für den Einsatz deutlich
sinken wird und der DEIG auch in Situationen zum Einsatz kommen kann, die durch
kommunikative Deeskalation ebenfalls, nur zeitaufwendiger, hätten gelöst werden
können. Untermauert wird dies durch einen Bericht von Amnesty International zu
einem Pilotprojekt in den Niederlanden, wonach Polizist*innen in den meisten
Fällen den DEIG einsetzten, in denen der Schusswaffengebrauch nicht erlaubt
gewesen wäre. Das zeigt, dass Taser eben keine mildere Alternative zum Einsatz
von Schusswaffen sind, wie oft behauptet wird.
In Dortmund hat Polizeipräsident Lange zu Beginn des Testlaufs angekündigt, den
DEIG durch die Polizeiinspektion Nord einzusetzen, deren Einsatzgebiet
schwerpunktmäßig die Dortmunder Nordstadt ist. Mit dieser Einsatzstrategie trägt
die Polizei zur Stigmatisierung des Stadtteils bei und hat in einem
Stadtviertel, in dem viele Bewohner*innen immer wieder von Racial Profiling
durch die Polizei berichten, weiteres Vertrauen verspielt.
Insgesamt bestehen über die Wirksamkeit, sowie über die Auswirkungen des
Einsatzes von DEIG im Polizeidienst nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse.
Und auch der aktuell angelegte Testlauf in NRW ist methodisch nicht dazu
konzipiert, belastbare Ergebnisse zu liefern. Für einen fundierten Pilotversuch
müsste es eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung geben, um anhand von
zuvor festgelegten Bewertungskriterien eine Auswertung des Testlaufs
vorzunehmen. Stattdessen wissen wir bereits jetzt, dass die Regierungsfraktionen
von CDU und FDP um jeden Preis die landesweite Einführung des DEIG politisch
fordern, unabhängig von wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Statt große Mengen Geld in eine weitere potenziell tödliche Waffe zu
investieren, die schon in ihrer Konzeption nicht dazu in der Lage ist, in der
Bevölkerung mehr Sicherheit zu schaffen, fordern wir eine gut ausgebildete,
bürger*innennahe und um Vertrauen bemühte Polizei. Weitere Aufrüstungsversuche
stehen diesem Anspruch entgegen. Deshalb fordern wir Innenminister Reul auf, den
DEIG-Testlauf in Nordrhein-Westfalen vorzeitig abzubrechen und die DEIG an den
Leasinggeber zurückzugeben.