Veranstaltung: | Landesparteirat GRÜNE NRW am 15.02.2020 in Dorsten |
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Tagesordnungspunkt: | 2. Selbstbestimmt leben im Alter |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesparteirat |
Beschlossen am: | 15.02.2020 |
Eingereicht: | 27.02.2020, 09:28 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Selbstbestimmt Leben im Alter – selbstbestimmt Leben im Quartier
Beschlusstext
Selbstbestimmt Leben im Alter – selbstbestimmt
Leben im Quartier
Wir leben – zum Glück! – immer länger. Jeder fünfte Mensch in NRW ist über 65
Jahre alt – Tendenz steigend. Wir GRÜNE setzen uns für konkrete Maßnahmen ein,
damit jeder Mensch selbstbestimmt, bei bestmöglicher Gesundheit und in Würde alt
werden kann und aktiv an der Gesellschaft teilhat.
Älter zu werden bedeutet heute etwas anderes als früher. Viele Menschen sind am
Ende ihrer Berufstätigkeit eigenständig und aktiv, doch mit dem Ende der
Erwerbsarbeit besteht das Risiko, in ein Loch zu fallen, soziale Kontakte zu
verlieren und keinen geregelten Tagesablauf mehr zu haben. Die Folge: Angst vor
Einsamkeit. Dabei kann diese Zeit eine neue Lebensphase sein, die sie ihren
Interessen, Freund*innen, der Familie und dem Engagement für die Gesellschaft
widmen wollen. Dieses Engagement wollen wir GRÜNE besser unterstützen, denn es
bereichert unsere Gesellschaft, die vom Erfahrungsschatz, der Lebensleistung und
der Zeit älterer Menschen enorm profitieren kann.
Immer mehr Menschen sorgen sich allerdings, im Alter ihren Lebensstandard nicht
mehr halten zu können oder gar eine Rente zu beziehen, die die nicht zum Leben
reicht. So sind immer mehr Rentner
innen von Altersarmut betroffen. Eine prekäre soziale Absicherung erschwert
gesellschaftliche Teilhabe. Wir GRÜNE kämpfen deshalb entschieden für gerechte
Löhne, die im Alter vor Armut schützen, bezahlbares Wohn- und Lebensorte
ermöglichen und für eine auskömmliche soziale und finanzielle Sicherung im Alter
sorgen. Dafür brauchen wir neben einer gestärkten Rente eine gute und
zugängliche soziale Sicherung, die Menschen auch im Alter ein sicheres soziales
Netz bietet, wenn die Rente nicht reicht. Wir setzen uns deshalb für eine
Alterssicherung ein, die für alle funktioniert und in der alle füreinander
einstehen. Und wir sehen die besonderen Bedarfe von Menschen, die
Benachteiligungen aus sozialen oder kulturellen Gründen oder aufgrund ihrer
Einschränkung oder Behinderung erfahren.
Im Alter wird vieles schwieriger und der Unterstützungsbedarf wächst:
Körperliche Beeinträchtigung und Pflegebedürftigkeit schränken die persönliche
Mobilität ein. Dadurch können ältere Menschen ihren Alltag nicht mehr alleine
bestreiten und sind auf fremde Hilfe angewiesen, insbesondere wenn es keine
Partner*in, keine Kinder gibt, Angehörige weit weg wohnen oder beruflich stark
eingebunden sind. Die Sicherung einer menschenwürdigen Pflege ist eine zentrale
gesellschaftliche Aufgabe, die mit dem demografischen und sozialen Wandel weiter
an Bedeutung gewinnen und Deutschland die nächsten Jahrzehnte mit prägen wird.
Die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen nimmt zu, das Krankheitsspektrum und
der Unterstützungsbedarf werden umfangreicher und differenzierter. Zugleich
zeichnet sich in der Pflegebranche ein großer Mangel an Fachkräften ab.
Noch immer wird der Großteil der Pflege und Unterstützungsleistungen von
Angehörigen aus dem familiären Umfeld erbracht. Soziale Veränderungen, Wandel im
Zusammenleben und bei den Rollenbildern führen dazu, dass traditionelle
Familienstrukturen sich grundlegend wandeln. So ist ein beträchtlicher Teil der
pflegenden Angehörigen berufstätig und daher doppelt belastet oder selbst schon
im höheren Lebensalter und deshalb wenig belastbar. Deshalb müssen wir heute für
die Rahmenbedingungen sorgen, die dieser Entwicklung wie auch dem Anspruch einer
würdevollen Pflege gerecht wird und schließlich die pflegebedürftigen Menschen
und deren Angehörige stärkt.
In einer vielfältigen Migrationsgesellschaft heißt Älterwerden auch, dass die
Ansprüche an die soziale, Gesundheits- und Pflegeinfrastruktur diverser werden.
Insbesondere mit dem Eintritt in den Ruhestand der ersten, teilweise auch schon
der zweiten Generation der Familien der sogenannten Gastarbeiter*innen ist der
Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in der Pflege deutlich gewachsen
und wird weiter ansteigen. Auch muss sich unsere Gesellschaft auf die besonderen
Erfahrungen und Bedürfnisse von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und
intergeschlechtlichen alten und höchstaltrigen Personen (LSBTTI*) einstellen,
die in ihrer Biografie oftmals Erfahrungen von Verfolgung, Diskriminierung und
Ausgrenzung gemacht haben. Hier geht es darum, die spezifische(n) Kulturen zu
verstehen, um Retraumatisierungen zu vermeiden. Dies verlangt eine
kultursensible Pflege, die zwingender Bestandteil zum einen der Alten- und
Krankenpflegeausbildung, der Pflegeinfrastruktur im Lebensumfeld sein muss,
setzt aber die Förderung LSBTTI*-sensibler offener Altenarbeit voraus.
Wir GRÜNE wollen, dass Menschen genau die Unterstützung finden, die sie
brauchen, um im Alter selbstbestimmt leben zu können. Wo ginge das besser als im
direkten Lebensumfeld? Wir wollen altersgerechte Wohn- und Lebensorte stärken.
Wir wollen, dass unsere Stadtteile und Dörfer mehr sind als eine Ansammlung
einzelner Häuser, Straßen und Geschäfte. Der Vereinzelung setzen wir die Vision
eines Quartiers für alle Generationen entgegen: Der Stadtteil oder das Dorf als
Lebensmittelpunkt für Viele, in dem Gemeinsamkeit möglich wird. Hier sollte
alles fußläufig und barrierefrei bereitstehen, was Menschen in unterschiedlichen
Lebensphasen und mit unterschiedlichen Einkommen brauchen: Von bezahlbarem
Wohnangebot, Gesundheitsversorgung und Pflegeleistungen über
Einkaufsmöglichkeiten hin zu öffentlichen Treffpunkten, Kultureinrichtungen und
Spielplätzen. Schließlich gehört hierzu auch der ökologische Umbau der
Quartiere, Stadtteile und Dörfer.
Der Weg zu dieser Vision führt über unsere Städte, Gemeinden und Kreise. Sie
müssen die Stadtentwicklung und die Pflegebedarfsplanung wieder stärker in die
Hand nehmen und ihre Kommunen zu Zukunftsdörfern und -quartieren umbauen. Für
eine solche integrierte, den demografischen Wandel und die nötigen Maßnahmen zur
Klimafolgenanpassung berücksichtigende Stadtentwicklung brauchen unsere Kommunen
die Unterstützung des Landes.
Alt und motiviert – Engagement im Alter besser unterstützen
Im Alter können Menschen viel geben: Die Gesellschaft kann vom Erfahrungsschatz
und der Zeit älterer Menschen enorm profitieren. Viele ältere Menschen
engagieren sich in Vereinen und Kirchen, ehrenamtlich in der Politik, in
Seniorenbeiräten und Nachbarschaftsinitiativen. Und es sind vor allem Menschen
im Alter, die sich bei Einschränkungen, Behinderungen und Krankheiten
gegenseitig unterstützen. Damit sorgen sie für Zusammenhalt und nicht zuletzt
auch handfeste Einsparungen in der Pflege.
Dieses Engagement verdient Anerkennung und Unterstützung durch die Politik. Wir
wollen die Netzwerkarbeit im Quartier und besonders von älteren Menschen
unterstützen und mehr Beteiligungsmöglichkeiten schaffen. Die Schwarz-Gelbe
Landesregierung macht genau das Gegenteil: So streicht sie etwa ab diesem Jahr
Gelder bei der Initiative „Zwischen Arbeit und Ruhestand“ (ZWAR). In dieser
Initiative organisieren sich ältere Menschen selbst, engagieren sich für die
Gemeinschaft und unterstützen sich gegenseitig. Mit den Kürzungen der
Landesmittel steht die landesweite Koordinierung dieser Initiativen vor dem Aus.
Wir GRÜNE unterstützen die Initiative weiter im Kampf gegen diese Kürzungen,
weil wir wissen, dass die erfolgreiche Selbstorganisation von Menschen im Alter
einen professionellen Beratungs- und Unterstützungsrahmen braucht. Auch die
Arbeit der kommunalen Konferenzen für Alter und Pflege wie auch die der
kommunalen Gesundheitskonferenzen sollen auch durch eine stärkere Teilhabe von
Selbsthilfegruppen und Betroffenenorganisationen gestärkt und ausgeweitet
werden. Hierbei müssen auch gesonderte Bedürfnisse von Frauen, von Menschen mit
Migrationsgeschichte, von Menschen mit Behinderung und Beeinträchtigung und von
LSBTTI* im Alter berücksichtigt werden.
Teilhabe stärken - gegen Vereinsamung und Ausgrenzung
Vereinsamung und oftmals auch Armut bestimmen die Lebenssituation von vielen
älteren Menschen. Deshalb sind Kommunen und soziale Netze vor Ort gefragt,
Angebote zu schaffen, die ältere Menschen in ihrer Selbständigkeit unterstützen
und die Teilhabe fördern. Hierzu gehören Angebote gegen Vereinsamung wie
Treffpunkte und Beteiligungsmöglichkeiten, digitale Vernetzungsstrukturen (z.B.
Senioren-Chatgruppen), Teilhabevergünstigungen bis hin zu aufsuchenden sozialen
und kulturellen Angeboten im Wohnquartier.
Teilhabe an Aktivitäten sollte durch Sozialtickets und Vergünstigungen bei
Kultur- und Freizeitangeboten ermöglicht und gefördert werden. Im Landtag haben
wir GRÜNEN uns erfolgreich für den Ausbau und die Sicherung der
Landesfinanzierung für die Sozialtickets vor Ort eingesetzt. Dazu gehören auch
aufsuchende Sport- und Kulturangebote im eigenen Lebensumfeld für Menschen mit
eingeschränkter Mobilität.
Teilhabe und Mitwirkung sind ein soziales Bedürfnis, auch älterer und auf Hilfe
angewiesener Menschen. Dafür brauchen wir unterstützende Nachbarschaften,
sorgende Gemeinschaften, eine Kultur des „Sich-Kümmerns“. Hier spielen
ehrenamtliche Netzwerke auch als niederschwellige Unterstützungsmöglichkeiten
eine wichtige Rolle, ebenso wir die Arbeit von Vereinen, Initiativen oder
Projekten vor Ort. Dies unterstützen wir.
Personalmangel in der ambulanten Pflege gefährdet gute Versorgung
Alte Menschen sind nicht automatisch pflegebedürftig. Wenn jedoch Hilfe und
Unterstützung notwendig werden, kann durch Nachbarschaftshilfe und Ehrenamt bis
zu einem gewissen Grad der Bedürftigkeit gute Hilfe geleistet werden. Bei
aufkommender Pflegebedüftigkeit wird jedoch irgendwann ein Pflegedienst
unerlässlich, um einen Umzug ins Pflegeheim zu verhindern.
Wir erleben das aktuelle Versagen der Bundesregierung, die ambulante Pflege
entschieden aufzuwerten. Viele Maßnahmen sind nicht zuende gedacht und zielen
auf stationäre Versorgungsformen ab, während der ambulante Sektor vernachlässigt
wird. Pflegedienste sind gezwungen, Anfragen von Hilfesuchenden abzulehnen oder
gar bestehende Versorgungsverträge aufzukündigen. Der Fachkräftemangel in der
ambulanten Pflege wird bisher nicht entschieden genug angegange. Er gefährdet
das selbstbestimmte Leben der alten Menschen vor Ort.
Prävention und Pflege stärken
Immer mehr Menschen in NRW benötigen Pflege. Aktuell sind es rund 800.000
Menschen, die Leistungen der Pflegeversicherung erhalten. Etwa 350.000 Personen
mit Demenzerkrankung benötigen Hilfe und alltägliche Begleitung. Die zentralen
Elemente sind Prävention und Erhalt der Gesundheit, qualitativ hochwertige und
bedarfsgerechte medizinische Versorgung und vernetzte Versorgungsstrukturen. Wir
Grüne fordern einen Paradigmenwechsel hin zur Prävention. Um die Gesundheit der
Bevölkerung und gesundheitliche Chancengleichheit zu verbessern, sollen bei
allen Entscheidungen im Quartier die Auswirkungen auf die Gesundheit geprüft und
schädliche Auswirkungen vermieden werden. Prävention im Alter ist bislang wenig
ausgeprägt und zu wenig an der Lebensrealität der Menschen orientiert.
Prävention muss den Erhalt der Lebensqualität zum Ziel haben und auch eine
entsprechenden Wohnumfeldgestaltung unterstützen. Mobile Reha-Leistungen wie
Krankengymnastik und Ergotherapie können im häuslichen Umfeld Selbstbestimmung
und Mobilität stärken. Notwendig ist dabei eine kostendeckende Finanzierung der
ambulanten Reha. Präventionsberatung muss darüber hinaus auch strukturelle
Defizite benennen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen, um damit die
Kommunen bei der altersgerechten und inklusiven Gestaltung des Wohnumfeldes und
der Quartiere unterstützen zu können.
Der Bedarf nach einer auskömmlichen und qualitativ hochwertigen
Pflegeinfrastruktur ist in den letzten Jahren allerdings deutlich gestiegen und
wird auch in den kommenden Jahren weiter steigen. Dieser wachsenden
gesellschaftlichen Bedeutung der Pflege steht weiterhin ein massiver
Pflegenotstand gegenüber, der auf gesundheitsgefährdende Arbeitsbelastung bei
gleichzeitig fehlender Wertschätzung, unzureichender Entlohnung und einem
Minimum an verlässlicher Freizeit zurückgeht. Gleichzeitig bleibt viel zu wenig
Zeit für die Pflege und Beziehungsarbeit zu den Patient*innen. Dieser Notstand
ist einem reichen Land schlicht unwürdig. Wir haben uns in der rot-grünen
Landesregierung erfolgreich dafür eingesetzt, die Zahl der Auszubildenden in der
Pflege massiv zu steigern. Dank Einführung der Ausbildungsumlage wurden seit
2012 in keinem anderen Bundesland so viele neue Ausbildungsplätze geschaffen.
Doch dieser Weg muss konsequent fortgesetzt und weiterentwickelt werden. Um
nachhaltig Fachkräfe für die immer komplexer werdenden Pflegebedarfe zu
gewinnen, muss die Weiterentwicklung des "Qualifikationsmixes" von der
Helferausbildung bis zum Hochschulabschluss in der direkten Versorgung gefördert
werden. Das gilt für alle Zielgruppen (Altenpflege, Heilerziehungspflege,
Kinderkrankenpflege,...) und für alle Versorgungssektoren: ambulante Pflege,
akutstationäre Pflege, Rehabilitationspflege und stationäre Langzeitpflege . Wir
wollen zudem weiter dafür sorgen, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu
verbessern und dafür beispielsweise die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.
Darüber hinaus wollen wir die Unterstützung pflegender Angehöriger verbessern.
Pflegebedarf darf nicht zum Armutsrisiko werden
Die Pflegeversicherung wird heute ihrem Ziel nicht mehr gerecht, im Pflegefall
vor Armut zu schützen. Immer mehr pflegebedürftige Menschen sind bereits auf
Sozialhilfe angewiesen. Diese Situation wird sich ohne Gegenmaßnahmen weiter
verschärfen. Denn nach heutiger Systematik der Pflegeversicherung gibt es je
nach Pflegegrad einen festen Zuschuss zu den Pflegekosten. Die dringend nötigen
Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen und der Entlohnung der professionellen
Pflegenden erhöhen automatisch die Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Diese
liegen in NRW im bundesweiten Vergleich bereits im Spitzenfeld. Wir Grünen
fordern deshalb mit der doppelten Pflegegarantie eine Reform der
Pflegeversicherung, die dafür sorgt, dass alle pflegebedürftigen Menschen die
Pflege erhalten, die sie benötigen, und die Kosten dafür für sie begrenzt sind.
Wir wollen erstens, dass Pflegebedürftige nur einen festen Betrag deutlich unter
dem heutigen Eigenanteil für die Pflege zahlen müssen und die Kosten für die
Pflegebedürftigen überschaubar gedeckelt werden.
Wir garantieren zum zweiten: Die Pflegeversicherung übernimmt in Zukunft alle
darüber hinaus gehenden pflegerischen Kosten für eine bedarfsgerechte
Versorgung. Damit wollen wir erreichen, dass in Zukunft alle Pflegebedürftigen
die für sie notwendigen, am konkreten Bedarf orientierten Pflegeleistungen
erhalten – wir wollen damit die Unterversorgung, die insbesondere bei der
häuslichen Pflege vorkommen kann, beseitigen.
Ergänzend wollen wir die Pflege- und die Krankenversicherung zu einer
Bürgerversicherung weiterentwickeln. Wir wollen, dass sich alle an der
solidarischen Finanzierung der Gesundheits- und Pflegekosten beteiligen und
vielen, die heute nicht Mitglied der gesetzlichen Sozialversicherung werden
können, diese Möglichkeit zu fairen Bedingungen eröffnen.
Selbstbestimmt Leben im Quartier
Wir GRÜNE wollen die Selbstbestimmung von Pflegebedürftigen fördern. Die meisten
Menschen wollen zu Hause oder zumindest in ihrem angestammten Umfeld wohnen
bleiben und ambulante Pflege in Anspruch nehmen. Deshalb wollen wir in der
Pflegepolitik weg von Großeinrichtungen hin zu Wohn- und Pflegeformen im
Lebensumfeld der Menschen. Dafür müssen die Kommunen und Kreise die
Pflegebedarfsplanung selbst in die Hand nehmen. Sie dürfen die Entwicklung der
(Pflege)Infrastruktur nicht dem freien Markt überlassen. Gleiches gilt für eine
altersgerechte Wohnungspolitik und innovative Wohnformen, die bezahlbares Wohnen
mit Pflegeangeboten kombinieren. Kommunen und Kreise müssen aktiv eine
generationengerechte, integrierte Quartiersentwicklung im Zusammenspiel mit
örtlichen Wohnungsanbieter, (Infrastruktur-)Trägern und Zivilgesellschaft
planen, in denen Pflege und Unterstützung, Gesundheitsversorgung, Einkaufen und
Dienstleistungen des täglichen Bedarfs für alle Generationen zugänglich sind.
Zur Unterstützung wollen wir wieder ein Landesförderprogramm für die soziale
Quartiersentwicklung in den Kommunen und Kreisen auflegen. CDU und FDP hatten
diese Förderung abgeschafft. Wir wollen die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung
in den Quartieren langfristig schützen. Die Kommunen müssen dafür die
Möglichkeiten des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten nutzen. Zudem sollen
Auflagen für Investoren bezüglich sozialverträglicher Sanierungen und des
Erhalts von Mietwohnungen definiert werden.“
Wer Unterstützung im Alltag braucht oder Pflege benötigt, braucht kurze Wege und
eine abgestimmte Gesundheitsförderung und -versorgung „aus einem Guss“. Hierfür
gibt es bereits Vorbilder wie das Zukunftsdorf Legden, in dem alle Präventions-
und Gesundheitsdienstleistungen barrierefrei im Ortskern zu erreichen sind. Wir
GRÜNE wollen, dass überall in NRW Arztpraxen, Krankenhäuser, Pflegedienste und -
einrichtungen im Quartier besser zusammenarbeiten und gebündelt werden. Über
Angebote zur Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege sowie Einrichtungen wie
Quartierstützpunkte oder Nachbarschaftszentren, sichern wir eine Pflege und
Unterstützung rund um die Uhr. Wir setzen auf Alternativen zum klassischen Heim
wie Wohn- und Hausgemeinschaften mit umfassender Pflege, Mehrgenerationenwohnen
und „Wohnen mit Versorgungssicherheit“ in der eigenen Wohnung („Bielefelder
Modell“) oder Modelle wie „Wohnen für Hilfe“. Wichtig ist ein Pflege- und
Hilfemix aus professioneller Pflege und Unterstützung, sozialen Netzwerken und
Nachbarschaften im Quartier.
Darüber hinaus haben auch die klassischen stationären Pflegeheime immer noch
eine große Bedeutung für die Sicherung eines umfassenden Pflegeangebots vor Ort.
Viele Einrichtungen müssen sich aber zeitgemäß modernisieren, um
selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen: durchgängig Einzelzimmer, Öffnung zum
Quartier als Begegnungszentrum für die Bewohner*innen, Vereine und Initiativen
im Stadtteil, bis hin zur Umwandlung zu Wohnanlagen für alle Generationen. Wir
GRÜNEN wollen die Träger bei diesen Umgestaltungsprozess der bestehenden
Einrichtungen unterstützen und für eine Neuorientierung ambulante Wohn- und
Pflegeformen gewinnen.
Selbstbestimmtes Wohnen im Quartier muss auch für Menschen in besonderen
Lebenslagen ermöglicht werden. So können für ehemals wohnungslose Menschen mit
Pflegebedarf oder einer psychischen Erkrankung neuen Angebote zum
selbstbestimmten Wohnen aufgebaut werden, wie es bei dem Projekt 60+ York-Höfe
in Münster gelungen ist. Diese Angebote wollen wir in den kommenden Jahren in
NRW weiter ausbauen. Die Lebenserwartung älterer Menschen mit lebenslanger
Behinderung insbesondere in der Altersgruppe 60 plus wird sich in den nächsten
20 Jahren erheblich erhöhen. Die Angebote für ältere Menschen mit
Beeinträchtigungen, insbesondere ambulante Wohnformen müssen gestärkt und
Probleme aufgrund von unterschiedlichen Zuständigkeiten für Eingliederungshilfe
und Altenhilfe überwunden werden. Wir GRÜNEN setzen uns dafür ein, dass der
flächendeckende Ausbau eines bedarfsgerechten Angebotes insbesondere an ambulant
unterstützende Wohnformen und Tagesangebote in NRW konsequent umgesetzt wird.
Verbindliche Pflegebedarfsplanung in den Kommunen und Kreisen umsetzen
Viele Kommunen verfolgen bereits das Ziel, die Quartiere so auszugestalten, dass
die notwendige Unterstützung gewährleistet ist, die der einzelne Mensch
benötigt, um so lange wie möglich in der eigenen Häuslichkeit ein
selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies entspricht auch dem Wunsch des Großteils
der Pflegebedürftigen. Allerdings ist der finanzielle Rahmen für den
Landesförderplan Alter und Pflege von der CDU/FDP Landesregierung in den letzten
Jahren erheblich gekürzt worden. Förderprojekte, die die ehrenamtliche wie auch
professionelle Quartiersarbeit unterstützen, wurden nach und nach gestrichen.
Eine dringend notwendige Integration von Stadtteil-, Wohn- und Pflegeentwicklung
fehlt.
Die schwarz-gelbe Landesregierung will die Entwicklung der Pflegeinfrastruktur
wieder dem freien Markt und den Interessen der Investoren überlassen. So hat sie
den Vorrang ambulanter Wohn- und Pflegeformen gestrichen. Sie will, dass wieder
neue Großeinrichtungen geplant werden, obwohl bereits viele Kommunen den
innovativen und menschenorientierten Weg hin zu Quartierskonzepten verfolgen.
Viele Kommunen und Kreise haben in NRW bereits die verbindliche
Pflegebedarfsplanung eingeführt. Hier bleibt unsere Erwartung, dass diese
weiterhin auf den vorrangigen Ausbau von ambulanten Wohn- und Pflegeformen
setzten, so wie es auch im SGB XI vorgesehen ist. Zugleich setzen wir uns dafür
ein, dass möglichst alle Kommunen und Kreise die Möglichkeit der verbindlichen
Pflegebedarfsplanung ergreifen.
Quartiere für die Bedarfe aller Generationen gestalten
Wohnquartiere sind nicht nur für Menschen im Alter wichtig, sie müssen auf alle
Generationen und auf das gedeihliche Zusammenleben zwischen den Generationen
ausgerichtet sein: Singles wie Familien finden hier Unterstützungs- und
Beratungsangebote. Das Quartier ist so gestaltet, dass Kinder überall spielen
können, sicher und frei. Jugendliche finden hier Frei- und Gestaltungsräume. Im
Zentrum des Quartiers stehe Orte der Kommunikation, wie z. B. Stadtteilzentren,
Quartiersstützpunkte, Nachbarschaftstreffs und einladende öffentliche Plätze.
Sie ermöglichen Kontakt und Kommunikation, lassen die Gemeinschaft positiv
erleben und stärken die Identifikation mit dem und das Miteinander im Quartier.
Bauen und Wohnen – gemeinnützig und barrierefrei!
Wer lebenswerte Quartiere möchte, muss die Stadtentwicklung aktiv in die Hand
nehmen. Wenn wir sie dem freien Markt überlassen, entstehen bloß einzelne Wohn-
und Geschäftseinheiten, und keine zusammenhängenden Stadtquartiere, die als
Ganzes funktionieren.
Wir GRÜNE treten ein für eine gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik, zu der eine
behutsame Bestandsentwicklungspolitik gehört. Ein größerer Anteil von Grund und
Boden in unseren Städten und Gemeinden muss wieder in öffentlicher Hand sein,
damit Städte und Gemeinden die Stadtentwicklung überhaupt gestalten und steuern
können. Mit einem Vorkaufsrecht für Kommunen stellen wir das sicher. Bauflächen
sollen von der öffentlichen Hand nicht mehr verkauft, sondern langfristig
verpachtet werden (Erbbaurecht). Den Zuschlag soll nicht der Meistbietende
erhalten, sondern über eine Konzeptvergabe nach Qualitätskriterien erfolgen.
Hiermit können soziale, ökologische, gemeinschaftliche und inklusive
Wohnprojekte und genossenschaftliche Wohnformen gestärkt werden. Wir brauchen
feste Quoten für sozial geförderten, qualitätvollen und langfristig sozial
gebundenen Wohnraum. Gleichzeitig brauchen wir eine Stärkung der kommunalen
Wohnungsunternehmen, die nicht zuletzt auch eine wichtige Rolle dabei spielen,
für Menschen in besonderen Lebenslagen Wohnraum zu ermöglichen. Selbstbestimmt
Wohnen im Alter - alleine oder in Wohn- oder Hausgemeinschaften darf nicht vom
Geldbeutel abhängen sondern muss für alle ermöglicht werden. Auch deshalb muss
der sog. Kostenvorbehalt bei Leistungen der Eingliederungshilfe wie auch bei der
„Hilfe zur Pflege“ (§ 13 SGB XII) bei ambulanten Wohnformen gegenüber einer
stationären aufgehoben werden.
In NRW gibt es kein ausreichendes Angebot an barrierefreien und bezahlbaren
Wohnraum. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat klare Vorgaben hierfür
gestrichen. Viele Menschen, die selbstständig leben wollen, sind bislang
gezwungen in Sondereinrichtungen oder völlig ungeeigneten Wohnungen zu leben. Es
fehlen etwa 600.000 geeignete barrierefreie Wohnungen. Von diesem
Wohnungsnotstand sind auch die Menschen betroffen, die noch in Heimen wohnen,
aber lieber selbstständig im Betreuten Wohnen oder „selbständigen Wohnen mit
Assistenz“ leben wollen. Die Schaffung eines bedarfsgerechten und bezahlbaren
Angebotes an barrierefreiem und rollstuhlgerechtem Wohnraum muss daher eine
zentrale Aufgabe sein.
Im Alter mobil
Gerade im ländlichen Raum und am Stadtrand sind Menschen mit Einschränkungen
häufig auf ein Auto angewiesen – wer dies nicht mehr nutzen kann oder möchte,
ist stark eingeschränkt. Doch auch in der Stadt können Barrieren schnell dazu
führen, dass ältere Menschen immer seltener das Haus verlassen. Das erschwert
ihnen zum einen den Zugang zu Präventions- und Gesundheitsleistungen und zur
Versorgung mit Gütern des alltäglichen Bedarfs. Zum anderen aber verhindert es
kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe und die selbstbestimmte Gestaltung der
Freizeit. Unser Ziel ist, Mobilitätshemmnisse konsequent abzubauen. Wir setzen
uns deshalb dafür ein, den altersgerechten und barrierefreien Ausbau des ÖPNV
voranzutreiben. Zudem wollen wir Kommunen ermuntern und dabei unterstützen,
weitere alternative Verkehrsangebote wie Mitfahrer*innenbänke und
Bürger*innenbusse zu prüfen und zu entwickeln und internetbasierte,
generationengerechte Informationsportale zu fördern, die alle etablierten
Mobilitäts- und Serviceangebote vor Ort beinhalten. Für den Freizeitbereich
wollen wir Initiativen wie „Radeln ohne Alter“ unterstützen, bei der mit E-
Rikschas Menschen aus stationären Pflegeeinrichtungen von Ehrenamtlichen
abgeholt und gefahren werden. Schließlich bedarf es auch einer
Wohnumfeldgestaltung die Menschen, die in ihrer Mobilität beinträchtig sind,
unterstützt.
Möglichkeiten neuer Technologien für ein selbstbestimmtes Leben nutzen
Digitale Anwendungen sowie die Implementierung und Verbreitung
alltagsunterstützender Techniken und die Generierung neuer Technologien kann die
Selbstständigkeit und Sicherheit von pflegebedürftigen Menschen gewährleisten
und mehr Selbstbestimmung eröffnen. Gerade wohnort- und quartiersnahe
Versorgungssettings ermöglichen pflegebedürftigen Menschen ein Verbleiben in
ihrer gewohnten Häuslichkeit und sichern soziale Bezüge. Ein besonderes
Augenmerk verdient auch die Unterstützung von pflegenden Angehörigen.
Digitalisierung darf allerdings nicht zum Selbstzweck werden, sie sollte nur
dort eingesetzt werden, wo sie tatsächlich die Versorgung und die Unterstützung
der Menschen zu selbstbestimmten Leben verbessert und die Arbeit erleichtert.
Der mögliche Gebrauch von fortgeschrittener Technologie wie Pflegerobotern,
hängt letztendlich ab von Qualität und Kosten der Technologie, von deren
sozialen und politischen Akzeptanz sowie die Möglichkeiten diese Innovationen
auch einzusetzen. Um diese neue Form von Dienstleistung angemessen beurteilen zu
können, sollten auch neue Standards definiert werden.