Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 21./22. August 2021 in Dortmund |
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Tagesordnungspunkt: | 8. Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 22.08.2021 |
Eingereicht: | 22.08.2021, 13:24 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Weckruf aus der Wissenschaft: Wir sind Hanna!
Beschlusstext
1. Wissenschaft & Forschung brauchen gute Rahmenbedingungen
Ob bei der Erforschung des Klimawandels, der Entwicklung von Impfstoffen oder
der Aufklärung von Verschwörungsmythen – Wissenschaft und Forschung sind von
elementarer gesellschaftlicher Bedeutung!
Mit der höchsten Dichte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Europa,
sollte der Forschungs- und Hochschulbereich für das Land NRW einen hohen
gesellschaftlichen Stellenwert haben und sich in guten Forschungs- und
Arbeitsbedingungen widerspiegeln. Doch die Hochschulpolitik der schwarz-gelben
Landesregierung zeichnet ein anders Bild: In der Landespolitik und im
Wissenschaftsalltag ist die Lage desaströs.
Unter dem Hashtag #IchBinHanna haben seit Juni 2021 zahlreiche wissenschaftliche
und wissenschaftsassozierte Beschäftigte ihrem Ärger über die schlechten
Arbeitsbedingungen mit unsicherer Zukunftsperspektive in Wissenschaft und
Forschung Luft gemacht. Über 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals in NRW
sind befristet beschäftigt, dabei sind ungewollte Teilzeitverträge bei
gleichzeitigen ungewollten Überstunden keine Seltenheit. Dieser digitale Protest
verdeutlicht eine Schieflage innerhalb der föderalen Hochschullandschaft in
Deutschland: Obwohl immer wieder beteuert wird, wie wichtig Bildung und
Forschung sind, so wenig scheint die Politik bereit zu sein, in gute Bedingungen
für die Wissenschaft zu investieren. Dabei wird scheinbar vergessen, dass gute
Arbeitsbedingungen an Hochschulen die Grundlage bilden für die präzise Analyse
gesellschaftlicher Probleme, für zukunftsweisende Innovationen, sowie für die
Lehrer*innenausbildung und bildet damit auch die Basis guter Schulbildung.
Wissenschaftler*innen hangeln sich oft von einem Kurzvertrag zum nächsten und
wissen nicht, ob sie in einem halben Jahr noch die Miete zahlen können.
Gleichzeitig verlieren Professor*innen regelmäßig ihre erfahrenen und wertvollen
Mitarbeiter*innen. Dieser Missstand hat nicht nur Auswirkungen auf die
Lebenssituation einzelner Menschen, sondern auch auf die Leistungsfähigkeit der
Hochschulen und die Qualität der Lehre und der Forschung. Zudem führen
befristete Arbeitsverträge, schlechte Arbeitsbedingungen und vergleichsweise
geringe Bezahlung dazu, dass den Hochschulen Wissenschaftler*innen verloren
gehen und Potentiale nicht ausgeschöpft werden.
Im Grunde geht es um die Zukunft des Forschungs- und Bildungsstandorts
Deutschland. Denn eine solide Finanzierung der Hochschulen und
Forschungseinrichtungen würde nicht nur zu mehr Planungssicherheit und besseren
Arbeitsbedingungen führen, sondern auch die thematische Vielfalt in Wissenschaft
und Forschung vor einer zu starken Ausrichtung an Drittmittelgebern schützen.
Die weit über eine an sich schon fatale Prekarisierung der
Hochschulbeschäftigten hinausreichende gesamtgesellschaftliche Bedeutung kann
dabei nicht genug betont werden: Entwicklungen wie die zwangsweise Entlassung
qualifizierten Personals, die Zunahme von Teilzeit- und Fristverträgen und die
ständige Jagd nach externen Drittmitteln und befristeter Projektfinanzierung
zerbrechen nicht nur die persönlichen Lebensläufe von Forschenden und Lehrenden
oder verunmöglichen längerfristige Hochschul-Infrastrukturplanung. Sie zwingen
Forschung und Lehre überdies dazu, sich inhaltlich mehr und mehr an
kurzfristigem Denken, an den Vorgaben externer Geldgeber und an unmittelbarer
monetärer Verwertbarkeit auszurichten. Dies ist eine Gefährdung von
Wissenschafts- und Forschungsfreiheit und unterminiert unter dem Deckmantel von
Innovativität insbesondere die essentielle Grundlagenforschung, kritische
Hinterfragung und langfristiges Denken - also ausgerechnet auch all jene
Bereiche, die für eine nachhaltige, gemeinwohlorientierte Gesellschaft
unverzichtbar sind.
Eine angemessene Grundfinanzierung der Hochschulen ist also unerlässlich, um die
im Grundgesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit zu sichern und die
Unabhängigkeit zu gewährleisten. Anstatt in die Grundfinanzierung der
Hochschulen zu investieren, standen aber zuletzt Budget-Kürzungen auf dem Plan.
Der Hashtag #IchBinHanna ist ein Weckruf und verdeutlicht die gravierenden
Missstände der wissenschaftlichen Beschäftigten! Die gilt es zu beseitigen! Wir
müssen dafür die Arbeitsbedingungen aller Beschäftigten an Hochschulen und
Forschungseinrichtungen unter die Lupe nehmen, gute Beschäftigungsstrukturen
etablieren und eine planbare Karriere in der Wissenschaft möglich machen.
2. Wie wir Wissenschaft und Forschung nachhaltig stärken
Für einen klugen rechtlichen Rahmen im Bund und mehr Unterstützung des Bundes
für die Länder, treten wir am 26. September zur Bundestagswahl an. Wir wollen
aber auch ganz besonders die landespolitischen Möglichkeiten nutzen, um
attraktive und zukunftsfähige Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten an den
Hochschulen und Forschungseinrichtungen in unserem Land zu schaffen. So wächst
die Grundfinanzierung dank grüner Wissenschaftspolitik in Baden-Württemberg und
Hamburg jährlich um durchschnittlich drei Prozent, in Hessen um vier Prozent.
Für bessere Arbeitsbedingungen werden in Baden-Württemberg beispielsweise 2000
unbefristete Stellen über alle Hochschulformen bis 2021 geschaffen und auch
Hessen und Hamburg sorgen mit ihrem Hochschulpakt bzw. Zukunftsverträgen für
mehr Planungssicherheit für Wissenschaftler*innen. Das ist auch in NRW möglich –
und nötig!
Wir wollen das System aus Kurzverträgen, Kettenbefristungen und Dauerüberlastung
beenden. Dafür muss auf Bundesebene das Wissenschaftszeitvertragsgesetz
grundlegend reformiert werden. Unser Ziel ist ein rechtlicher Rahmen, der hilft
den Anteil der unbefristeten Mitarbeiter*innen-Stellen grundlegend zu erhöhen.
Wir fordern mehr Dauerstellen für Daueraufgaben, um ein breites Fundament für
gute Lehre und zukunftsweisende Forschung in NRW zu legen. Befristungen müssen
mit entsprechenden Auflagen für Hochschulen und Perspektiven für die
Beschäftigten verbunden sein und faire Vertragslaufzeiten schaffen. Das bedeutet
etwa, dass die sechs Jahre vor und nach der Promotion den Beschäftigten auch
tatsächlich zur Verfügung stehen und keine Qualifikation gefährdet ist, weil
Stellen nicht verlängert werden.
Aber auch die Landesregierung hat Möglichkeiten unsachgemäße, kurze und
Kettenbefristungen an Hochschulen einzudämmen.
Dabei ist es besonders wichtig, dass diese Stellen Teil der Grundfinanzierung
werden. Hierfür dürfen keine anderen Töpfe zweckentfremdet werden, insbesondere
nicht die Qualitätsverbesserungsmittel, auch weil die Studierenden hier bei der
Bestimmung der Ausgaben ein besonderes Mitspracherecht genießen.
Wir wollen die Hochschulen ausreichend ausstatten und die Umsetzung rechtlicher
Regelungen sicherstellen, um einen hohen Standard und verlässliche
Vereinbarungen bei der Betreuung aller Promovierenden und Postdocs zu
gewährleisten. Ebenso wollen wir den Wiedereinstieg von Wissenschaftler*innen
ermöglichen, deren Laufbahn durch die Regelungen des
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ungerechterweise beendet wurde. Damit nehmen
wir auch allen Wissenschaftler*innen den Druck eines jähen Karriereendes.
Wir wollen planbare und transparente Karrierewege für Wissenschaftler*innen
Wir brauchen sichere und transparente Berufswege an Hochschulen und
Forschungseinrichtungen in NRW, die von Beginn an Planungssicherheit
ermöglichen. Alle Wissenschaftler*innen müssen ihren Aufgaben in Forschung und
Lehre nachkommen können, ohne ständig von Existenzsorgen geplagt zu sein.
Deswegen setzen wir uns für mehr Dauerstellen an den NRW-Hochschulen und
Karrierewege abseits von Professuren ein. Bund und Land stehen gemeinsam in der
Verantwortung, die dafür nötigen Finanzmittel bereit zu stellen. Insbesondere an
Hochschulen für angewandte Wissenschaftgilt es, den Ausbau des
wissenschaftlichen Mittelbaus mit guten Arbeitsbedingungen zu unterstützen, wie
dies beispielsweise in Hessen derzeit passiert. Wir wollen in NRW jedem
Lehrstuhl an einer Hochschule für angewandte Wissenschaft mindestens eine*n
wissenschaftliche*n Beschäftige*n zur Seite stellen.
Chancengleichheit und Diversität sind zentral für Qualität, Leistungsfähigkeit
und Gerechtigkeit im Wissenschaftssystem. Jedoch stellen sich für Frauen, People
of Color, Menschen aus Nicht-Akademikerfamilien, mit geringen ökonomischen
Ressourcen oder mit internationaler Familiengeschichte, sowie Akademiker*innen
mit Behinderung oder chronischer Erkrankung nach wie vor besondere
Herausforderungen beim Karriereweg innerhalb der Wissenschaft. Diese Chancen-
und Geschlechterungerechtigkeit wollen wir durch gezielte Förderprogramme
überwinden und durch eine Anpassung der Hochschulstatistik auch in ihrer Wirkung
überprüfbar gestalten. Bei der Ausgestaltung der Programme sollen die
spezifischen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Wissenschaftler*innen stärker
berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang können die gesetzlichen
Interessenvertretungen, welche sich mit den Fragen der Geschlechtergerechtigkeit
und Chancengleichheit an den Hochschulen auseinandersetzen, als wichtige
Impulsgeber*innen für positive Veränderungsprozesse agieren.
Arbeitsbedingungen studentischer Mitarbeiter*innen verbessern
Wir wollen die Arbeitsbedingungen auch für studentische und wissenschaftliche
Hilfskräfte verbessern.
Das fordert auch die studentisch initiierte, breit getragene und vor allem
gewerkschaftlich unterstützte Kampagne „TVStud - Her mit den Tarifverträgen für
Studentische Beschäftigte!“. Wir begrüßen und unterstützen diese
Studentische Beschäftigte brauchen eine tarifliche Absicherung ihrer Löhne und
Arbeitsbedingungen sowie eine garantierte Personalvertretung. Dafür müssen die
Länder ihre Blockadehaltung aufgeben und einen Tarifvertrag für studentische
Beschäftigte ermöglichen. Klar ist für uns, dass alle arbeitsrechtlichen
Standards auch für studentische Beschäftigte gelten müssen. Das bedeutet
insbesondere angemessene Löhne und regelmäßige Lohnanpassungen, Planbarkeit
durch klare Regeln zu Mindestvertragslaufzeiten und Urlaubsanspruch sowie
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Wir wollen für alle studentischen
Beschäftigten Personalvertretungen gewährleisten und eine gerechte Vertretung
von Professor*innen, wissenschaftlichen Mitarbeitenden, Mitarbeitenden aus
Verwaltung und Technik sowie Studierenden in allen Gremien der Hochschulen
sicherstellen. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat das Hochschulgesetz in
diesen und anderen Punkten aufgeweicht. Das müssen wir wieder ändern.
Mit einem Wissenschaftsmodernisierungsprogramm den Sanierungsstau beenden
Gute Arbeitsbedingungen setzen eine gute Infrastruktur voraus. Diese Bedingungen
sind in NRW derzeit nicht gegeben. Der Sanierungsbedarf bei den Hochschulen und
Universitätskliniken liegt bei etwa zwölf Milliarden Euro. Wir wollen mit einem
Wissenschaftsmodernisierungsprogramm den Sanierungsstau effektiv bekämpfen. Bei
der Sanierung wollen wir höchste Standards anlegen, um möglichst klimaneutrale
Gebäude zu erhalten, auch durch die Nutzung des enormen Potenzials für
erneuerbare Energien. Für einen zukunftsfähigen Wissenschaftsstandort brauchen
wir auch erhebliche Investitionen in die digitalen Infrastrukturen der
Hochschulen.
3. Wir GRÜNE setzen auf den Wissenschafts- und Forschungsstandort NRW
Wissenschaft und Grundlagenforschung sind wichtige Pfeiler unserer Gesellschaft
und unserer Innovationskraft. Die Pandemie hat noch einmal deutlich gemacht,
welch wichtige Rolle Wissenschaft in Deutschland und weltweit spielt. Bessere
und verlässliche Karrierewege an unseren Hochschulen nützen Forschung, Lehre und
der der privaten Lebensplanung der Beschäftigten in der gesamten Gesellschaft.
GRÜNE Bildungspolitik schließt Hochschul- und Wissenschaftspolitik mit ein.
Die Hochschulen und Wissenschaftler*innen wirken mit ihrem Know-how direkt in
unsere Gesellschaft, unsere Schulen oder unser Gesundheitswesen hinein. Auch aus
diesem Grund wollen wir mehr Dauerstellen an den Hochschulen, mehr Karrierewege
an Hochschulen abseits von Professuren und eine solidere Finanzierung von
Hochschulen in NRW. Nur so können wir beste Forschungs- und Lehrbedingungen
sowie beste Bedingungen für den Wissenschaftstransfer dauerhaft in NRW gestalten
und so dafür sorgen, dass junge Wissenschaftler*innen gleichberechtigte Chancen
und transparente Karrierewege in der Wissenschaft vorfinden. Bund und Land
stehen gemeinsam in der Verantwortung, die dafür nötigen Finanzmittel bereit zu
stellen.
Dafür setzen wir GRÜNE uns auf Bundes- und Landesebene ein.