Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 24./25. Mai 2025 in Köln |
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Tagesordnungspunkt: | 8. Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Landesvorstand GRÜNE JUGEND NRW (dort beschlossen am: 11.04.2025) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 12.04.2025, 10:14 |
V-13: Im Sinne der Demokratie: Tragfähige Lösungen mit dem Mut zum eigenen Kompass!
Antragstext
Mit Blick auf die Bundestagswahl fällt neben allen parteipolitischen
Fragestellungen eine grundsätzliche Entwicklung auf, die tiefe Sorge bereitet:
Das schmerzhafte Erstarken der AfD. Wir sind überzeugt: es braucht einen Kampf
auf allen Ebenen und gleichzeitig eine Politik, die aufrichtige Lösungen bietet.
Dabei erkennen wir, dass der allgemeine gesellschaftliche Rechtsruck diese
Entwicklung befördert und dringend einer glaubwürdigen Gegenerzählung bedarf.
Vor dem Hintergrund sich weiter zuspitzender Engpässe der öffentlichen Haushalte
müssen Prioritäten gesetzt werden. Dazu wollen wir die sicherheitspolitische
Debatte weiten und gezielt Projekte in den Blick nehmen, die sich fachpolitisch
wie finanzwirtschaftlich auszahlen, wie wir es in der Präventionssäule des
Maßnahmenpakets nach Solingen angelegt haben.
Die kommunale Verschuldung beläuft sich in NRW auf beinahe 50 Milliarden Euro,
der Investitionsstau der öffentlichen Hand liegt auf identischem Niveau (2023).
Strukturwandel und Rückgang von Arbeitsplätzen haben insbesondere in NRW in den
vergangenen Jahrzehnten nicht nur die Einnahmensituation der Städte und
Gemeinden verschlechtert, sondern im gleichen Zuge für einen dramatischen
Rückgang an Lebensqualität ganzer Stadtteile gesorgt. Geopolitische
Veränderungen bringen heute weitere Risiken für das Zuliefererland NRW mit sich.
Die politische Antwort lautete hier zu lange: „Einsparen und auf Verschleiß
fahren“ Doch wo sich der Staat zurückzieht und Schwimmbäder nicht mehr Instand
setzt, Stadtteilbibliotheken schließen und den ÖPNV ausdünnen lässt, leiden
diejenigen, die auf eine robuste öffentliche Infrastruktur angewiesen sind.
Daher ist es richtig, dass wir gemeinsam mit der CDU in der Landesregierung
einen konkreten Plan zur Altschuldenlösung vorgelegt haben. Es ist nun an der
neuen Bundesregierung, die bestehende Finanzierungslücke für diesen Vorschlag zu
schließen. Der Bund darf sich nicht hinter dem Land verstecken. Jetzt ist die
Zeit, dass die neue Bundesregierung sich für starke Kommunen bekennt und den Weg
für eine auskömmliche Bundesbeteiligung am Altschuldenfond frei macht.
Gleichzeitig befindet sich auch das Land Nordrhein-Westfalen in einer finanziell
angespannten Situation. Für das Haushaltsjahr 2025 haben wir als Teil der
Landesregierung eine Priorisierung der Haushaltsmittel auf besonders relevante
Bereiche vorgenommen, um in schwierigen Zeiten Verantwortung für die
Modernisierung und Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Landes zu übernehmen.
Die Landesregierung hat nach dem schrecklichen Attentat in Solingen schnell
reagiert und mit einem Maßnahmenpaket für Sicherheit, Migration und Prävention
Vorschläge erarbeitet, die unsere Politik auf Augenhöhe mit der neuen Realität
bringen sollen. Zu dieser neuen Realität gehört insbesondere in den letzten
Monaten allerdings auch ein sich zuspitzender Diskurs über Migration und Flucht.
Immer häufiger sehen wir, wie sich politische Forderungen von wissenschaftlichen
Grundlagen oder den gemeinsamen Zielen von Humanität, Sicherheit und Ordnung
weit entfernen und es lediglich darum geht, Migration immer stärker zu
begrenzen.
Populistische Schnellschüsse und Symbolpolitik helfen nicht weiter, sie schaden!
Wir brauchen eine Innen- und Migrationspolitik, die sich den realen
Herausforderungen stellt – mit klugen Konzepten, gezielter Prävention und dem
festen Willen, Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit im Sinne der Vielen
gemeinsam zu denken. Dabei müssen wir vor dem Hintergrund einer angespannten
Haushaltslage Prioritäten setzen, um eine offene Gesellschaft zu ermöglichen und
zu verteidigen. Wir fordern daher:
- Den Aufbau interdisziplinärer Einsatzteams, in denen Polizei,
Sozialarbeit, Psychologie und weitere Fachrichtungen gemeinsam agieren. So
können besonders komplexe Lagen – etwa bei häuslicher Gewalt, psychischen
Ausnahmesituationen oder Bedrohung durch Radikalisierung – besser und
differenzierter bewältigt werden.
- Zur Schaffung gelingender Integration sind alle gefordert. Daher ist die
Schaffung von Teilhabe in Form von Sprache, Wohnort und der Möglichkeit
einer Arbeit nachzugehen oberste Priorität unserer Integrationspolitik.
Dabei spielt auch eine angemessene Gesundheitsversorgung wie
niedrigschwellige therapeutische und weitere geschlechterdifferenzierte
Angebote eine wichtige Rolle, um Retraumatisierungen zu vermeiden.
Psychologische Screenings bei den gesetzlich vorgeschrieben
Eingangsuntersuchungen sind hingegen unpraktikabel und stigmatisieren. Die
nötigen finanziellen Ressourcen ermöglichen einen wichtigen Schritt zu
einer sicheren Gesellschaft für alle Menschen, die im Land nach Glück,
Freiheit und eben dieser Sicherheit streben.
- Wir brauchen ein erklärendes und offenes Gesundheitssystem, das
diskriminierungsfrei die notwendige Versorgung bietet. In NRW existiert
eine Rahmenvereinbarung zwischen Ministerium und Krankenkassen, der die
Kommunen beitreten können. Hierdurch erhalten Geflüchtete eine
diskriminierungsfreie Gesundheitskarte. Dem sollten sich möglichst viele
Kommunen anschließen. Sprachmittler und digitale Übersetzungsangebote sind
dabei zwingend notwendig.
- Der Freiheitsentzug dabei darf nicht zu einem gewöhnlichen Mittel von
Rückführungen werden. Bereits jetzt verfügt das Land Nordrhein-Westfalen
mit der Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige (Ufa) zum Vollzug
von Abschiebehaft Büren über die bundesweit größte Einrichtung dieser Art,
um Abschiebehaftlätze vorzuhalten. Klar ist: Die Notwendigkeit einer
Vielzahl von Abschiebeplätzen ist kein Ausweis einer besonders starken und
sicheren Politik. Denn grundsätzlich gilt, dass eine auf Abschreckung
angelegte Migrationspolitik weder zu mehr Sicherheit noch zu mehr
Steuerung von Migrations- und Integrationsprozessen führt. Unser Ziel ist
es, mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Partei, Fraktion und
Kabinett durch unsere Innen- und Migrationspolitik echte Sicherheit zu
ermöglichen und populistischer, menschenverachtender Politik den Nährboden
zu entziehen.
- Innenpolitik mit sozialer Gerechtigkeit stärker
zusammenzudenken: Bußgelder und Ordnungswidrigkeiten dürfen nicht nur
Menschen mit kleinem Einkommen besonders hart treffen. Deshalb fordern wir
eine stärkere Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit in der
Praxis von Ordnungsrecht und Justiz.
Begründung
Unter dem Eindruck der Bundestagswahl und dem konsequenten Erstarken rechter Kräfte wollen wir als GRÜNE JUGEND NRW in die Debatte gehen, um im Diskurs gemeinsame Lösungen für eine anschlussfähige und wirksame progressive Politik zu finden. Dazu gehört auch, eine konsequente linke Gegenerzählung zu menschenfeindlichen Narrativen zu entwickeln und ihr durch unser konkretes politisches Handeln Glaubwürdigkeit zu verleihen. In Nordrhein-Westfalen können wir einen wichtigen Teil dazu beitragen, dem Schiefstand in der innen- und migrationspolitischen Debatte entgegenzuwirken. Der Zusammenhang zwischen mehr Abschiebungen und mehr Sicherheit ist nicht bloß irreführend, er ist gleichermaßen falsch wie gefährlich. Wenn wir Hoffnung über Angst, Vielfalt über Repression gewinnen lassen wollen, dann wird es ein Kampf. Und dieser Kampf ist ein gemeinsamer!
Dort, wo Abschiebungen stattfinden, müssen wir eine rechtsstaatliche, gerechte und humanitär verantwortungsvolle Abschiebepraxis gewährleisten. Abschiebehaft stellt hier nur das äußerste Mittel und einen schwerwiegenden Eingriff in den grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich eines Menschen dar. Sie unterliegt in jedem Einzelfall einem Richter*innenvorbehalt, und darf erst dann greifen, wenn alle vorrangigen milderen Mittel als Alternative ausgeschöpft worden sind. Diese Urteile steigen aktuell, somit muss ein Staat auch der Durchsetzung, also dem Bedarf an Abschiebehaftplätzen gerecht werden. Wir setzen uns politisch dafür ein, dass dieser Bedarf durch eine wirksame Innen- und Migrationspolitik sinkt und der Staat somit auch Konsequenzen für die Planung und den Bau von Abschiebehaftplätzen ziehen kann.
Daher sind wir als Landesvorstand der Grünen Jugend mit dem Landesvorstand von GRÜNE NRW frühzeitig ins Gespräch gegangen, um in einem intensiven aber vor allem vertrauensvollen und konstruktiven Prozess um gemeinsame Lösungen zu ringen. Viele konnten gefunden und beinahe alle in einem Antrag geeint formuliert werden. Wir als Grüne Jugend NRW haben das Ziel eine ablehnende Haltung zum geplanten Bau einer Unterbringungsanstalt für Ausreisepflichtige (UfA) in Mönchengladbach zu formulieren. In enger Abstimmung mit dem Landesvorstand der GRÜNEN NRW wurde unser Antrag ergänzt um eine Vielzahl von Forderungen, die zwischen uns und dem Landesvorstand GRÜNE NRW politisch geeint sind und die wir in die innenpolitische Debatte in Nordrhein-Westfalen einbringen wollen.
Wir bringen daher einen Antrag ein, der in einem gemeinsamen Prozess ausgearbeitet, verhandelt und damit immer wieder im positiven Sinne weiterentwickelt wurde.
Unsere Stärke - als Grüne Jugend wie als Grüne Partei - ist unsere Debattenkultur, unser Ringen im Sinne der Sache. Vor diesem Hintergrund konnten wir keine gemeinsame Formulierung zur geplanten UfA in Mönchengladbach finden. Als Grüne Jugend NRW werben wir für das Bekenntnis, die Planung zu stoppen und den Bau zu verhindern. Eine bloße Evaluierung dieser Maßnahme mit der möglichen Konsequenz nicht zu bauen reicht nicht aus, weil wir in der Maßnahme des Baus einer weiteren UfA einen direkten Widerspruch zu einer Kurskorrektur hin zu einer gerechten Innen- und Migrationspolitik sehen. Auch in diesem Punkt haben wir lange um eine gemeinsame Position gerungen und sind ihr nahe gekommen. Da wir sie vorab jedoch nicht einen konnten und für eine unterschiedliche Formulierungen werben, wollen wir die beiden Alternativen zusätzlich zum gesamten Antrag der LDK zur Debatte vorlegen. Das Ergebnis wird dann im Stile aller bisherigen Verhandlungen ein Gemeinsames sein!