Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 24./25. Mai 2025 in Köln |
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Tagesordnungspunkt: | 8. Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 25.05.2025 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Im Sinne der Demokratie: Tragfähige Lösungen mit dem Mut zum eigenen Kompass!
Beschlusstext
Als GRÜNE NRW erkennen wir die Realitäten unserer Gesellschaft an und arbeiten
an konkreten Lösungen. Dabei nehmen gegenwärtig insbesondere
sicherheitspolitische Fragestellungen eine bedeutende Rolle ein.
Mit Blick auf die Bundestagswahl fällt neben allen parteipolitischen
Fragestellungen eine grundsätzliche Entwicklung auf, die tiefe Sorge bereitet:
Das schmerzhafte Erstarken der AfD. Wir sind überzeugt: es braucht einen Kampf
auf allen Ebenen und gleichzeitig eine Politik, die aufrichtige Lösungen bietet.
Dabei erkennen wir, dass der allgemeine gesellschaftliche Rechtsruck diese
Entwicklung befördert und dringend einer glaubwürdigen Gegenerzählung bedarf.
Eine Politik, die aufrichtige Lösungen bietet, ist das wirksamste Mittel gegen
faschistische Tendenzen. Daher vertreten wir einen konsequenten Kurs im Sinne
grüner Politik, um linke Lösungen innerhalb der gegenwärtigen
Regierungsbeteiligung möglich zu machen.
Vor dem Hintergrund sich weiter zuspitzender Engpässe der öffentlichen Haushalte
müssen Prioritäten gesetzt werden. Dazu wollen wir die sicherheitspolitische
Debatte weiten und gezielt Projekte in den Blick nehmen, die sich fachpolitisch
wie finanzwirtschaftlich auszahlen, wie wir es in der Präventionssäule des
Maßnahmenpakets nach Solingen angelegt haben.
Wo Kommunen in der Verschuldung versinken, ist die Demokratie auf dem Rückzug!
Die kommunale Verschuldung beläuft sich in NRW auf beinahe 50 Milliarden Euro,
der Investitionsstau der öffentlichen Hand liegt auf identischem Niveau (2023).
Strukturwandel und Rückgang von Arbeitsplätzen haben insbesondere in NRW in den
vergangenen Jahrzehnten nicht nur die Einnahmensituation der Städte und
Gemeinden verschlechtert, sondern im gleichen Zuge für einen dramatischen
Rückgang an Lebensqualität ganzer Stadtteile gesorgt. Geopolitische
Veränderungen bringen heute weitere Risiken für das Zuliefererland NRW mit sich.
Die politische Antwort lautete hier zu lange: „Einsparen und auf Verschleiß
fahren“ Doch wo sich der Staat zurückzieht und Schwimmbäder nicht mehr Instand
setzt, Stadtteilbibliotheken schließen und den ÖPNV ausdünnen lässt, leiden
diejenigen, die auf eine robuste öffentliche Infrastruktur angewiesen sind.
Daher ist es richtig, dass wir gemeinsam mit der CDU in der Landesregierung
einen konkreten Plan zur Altschuldenlösung vorgelegt haben. Es ist nun an der
neuen Bundesregierung, die bestehende Finanzierungslücke für diesen Vorschlag zu
schließen. Der Bund darf sich nicht hinter dem Land verstecken. Jetzt ist die
Zeit, dass die neue Bundesregierung sich für starke Kommunen bekennt und den Weg
für eine auskömmliche Bundesbeteiligung am Altschuldenfond frei macht.
Gleichzeitig befindet sich auch das Land Nordrhein-Westfalen in einer finanziell
angespannten Situation. Für das Haushaltsjahr 2025 haben wir als Teil der
Landesregierung eine Priorisierung der Haushaltsmittel auf besonders relevante
Bereiche vorgenommen, um in schwierigen Zeiten Verantwortung für die
Modernisierung und Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Landes zu übernehmen.
Dabei müssen wir - gerade gegenüber der CDU - auf die Umsetzung fachpolitisch
sinnvoller und im Koalitionsvertrag vereinbarter neuer Einnahmequellen drängen,
indem auf mehr Investitionsmöglichkeiten und neue Einnahmequelle, wie die
Vermögenssteuer und eine gerechte Erbschaftsteuer eingegangen werden.
Verantwortungsvolle, faktenorientierte und menschenrechtsbasierte Innen- und
Migrationspolitik in aufgewühlten Zeiten
Die Landesregierung hat nach dem schrecklichen Attentat in Solingen schnell
reagiert und mit einem Maßnahmenpaket für Sicherheit, Migration und Prävention
Vorschläge erarbeitet, die unsere Politik auf Augenhöhe mit der neuen Realität
bringen sollen. Zu dieser neuen Realität gehört insbesondere in den letzten
Monaten allerdings auch ein sich zuspitzender Diskurs über Migration und Flucht.
Immer häufiger sehen wir, wie sich politische Forderungen von wissenschaftlichen
Grundlagen oder den gemeinsamen Zielen von Humanität, Sicherheit und Ordnung
weit entfernen und es lediglich darum geht, Migration immer stärker zu
begrenzen.
Als GRÜNE NRW widersprechen wir dem Narrativ, dass Migration ein
Sicherheitsproblem darstelle und die Intensivierung von Abschiebungen zu einem
Gewinn an Sicherheit führen.
Was Deutschland sicherer macht, ist eine Innenpolitik, die auf Fakten basiert,
individuelle Rechte verteidigt und die Demokratie sowie unsere Art des
Zusammenlebens schützt.
Populistische Schnellschüsse und Symbolpolitik helfen nicht weiter, sie schaden!
Wir brauchen eine Innen- und Migrationspolitik, die sich den realen
Herausforderungen stellt – mit klugen Konzepten, gezielter Prävention und dem
festen Willen, Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit im Sinne der Vielen
gemeinsam zu denken. Dabei müssen wir vor dem Hintergrund einer angespannten
Haushaltslage Prioritäten setzen, um eine offene Gesellschaft zu ermöglichen und
zu verteidigen. Wir fordern daher:
- Den Aufbau interdisziplinärer Einsatzteams, in denen Polizei,
Sozialarbeit, Psychologie und weitere Fachrichtungen gemeinsam agieren. So
können besonders komplexe Lagen – etwa bei häuslicher Gewalt, psychischen
Ausnahmesituationen oder Bedrohung durch Radikalisierung – besser und
differenzierter bewältigt werden.
- Eine feministische Innenpolitik, die betroffene Frauen sowie trans- und
nichtbinäre Menschen ernst nimmt, ihnen Schutzräume bietet und Gewalt
gezielt verhindert. Dazu gehört auch die gesellschaftliche wie
strafrechtliche Anerkennung von Femiziden.
- Eine faktenbasierte und ursachenorientierte Sicherheitspolitik:
Statt nur
auf Repression zu setzen, wollen wir dort ansetzen, wo Unsicherheiten und
Extremismus entstehen – mit starker Prävention, einer gut ausgestatteten
Zivilgesellschaft und konsequenter Deradikalisierung.
- Die Orientierung unserer Integrations- und Migrationspolitik an der
Vielfalt als Stärke, Menschenrechten und gelebter Humanität. Unser
Interesse liegt darin, alle aufenthaltssichernden Bleiberechtsregelungen
so auszuschöpfen, dass alle Geflüchteten eine Bleibeperspektive erhalten
können.
- Zur Schaffung gelingender Integration sind alle gefordert. Daher ist die
Schaffung von Teilhabe in Form von Sprache, Wohnort und der Möglichkeit
einer Arbeit nachzugehen oberste Priorität unserer Integrationspolitik.
Dabei spielt auch eine angemessene Gesundheitsversorgung wie
niedrigschwellige therapeutische und weitere geschlechterdifferenzierte
Angebote eine wichtige Rolle, um Retraumatisierungen zu vermeiden.
Psychologische Screenings bei den gesetzlich vorgeschrieben
Eingangsuntersuchungen sind hingegen unpraktikabel und stigmatisieren. Die
nötigen finanziellen Ressourcen ermöglichen einen wichtigen Schritt zu
einer sicheren Gesellschaft für alle Menschen, die im Land nach Glück,
Freiheit und eben dieser Sicherheit streben.
- Wir brauchen ein erklärendes und offenes Gesundheitssystem, das
diskriminierungsfrei die notwendige Versorgung bietet. In NRW existiert
eine Rahmenvereinbarung zwischen Ministerium und Krankenkassen, der die
Kommunen beitreten können. Hierdurch erhalten Geflüchtete eine
diskriminierungsfreie Gesundheitskarte. Dem sollten sich möglichst viele
Kommunen anschließen. Sprachmittler*innen und digitale
Übersetzungsangebote sind dabei zwingend notwendig.
Besonders die Rhetorik und Forderungen, die im Rahmen von Abschiebungen
verwendet werden, sind symptomatisch für den politischen und gesellschaftlichen
Rechtsruck.
Es ist falsch, Asyldebatten nur nach schrecklichen Einzelfällen auszurichten,
statt auch nach den vielen gelungenen Integrationsgeschichten. Wir werden alle
Instrumente, die wir haben, um für einen differenzierten und humanitäre Politik
in der Asyldebatte zu arbeiten auf allen Ebenen von Bundestag, über Bundesrat
bis zum Landtag und den kommunalen Gremien.
Als GRÜNE NRW ist für uns klar, dass Abschiebungen eine große Härte für die
Betroffenen sind. Abschiebungshaft stellt in diesem Fall das äußerste Mittel und
einen schwerwiegenden Eingriff in den grundrechtlich geschützten
Freiheitsbereich des Menschen dar. Die Entscheidung über Abschiebehaft treffen
keine Ministerien: Sie wird von kommunalen Ausländerbehörden beantragt, wenn
diese darlegen, dass aus ihrer Sicht von einer Person eine Fremdgefährdung
ausgeht oder diese sich einer Abschiebung entziehen würde. Dieses Mittel ist
rechtlich normiert, da es ein schwerwiegender Eingriff in die individuelle
Freiheit der Person darstellt. Ob eine Abschiebehaft geboten oder
verhältnismäßig ist, entscheidet ein Gericht in einer Einzelfallentscheidung.
Seit einiger Zeit sehen wir jedoch, dass Abschiebungshaft immer häufiger schon
vor dem Ausschöpfen aller milderen Mittel von Ausländerbehörden im Einzelfall
beantragt wird, Gerichte nach Prüfung im Einzelfall diese auch anordnen und die
Unterbringungseinrichtungen für ausreisepflichtige Geflüchtete zunehmend
ausgelastet sind. Das hat zur Folge, dass gegenwärtig der Eindruck entsteht, als
müsste das Land zur Erfüllung seiner Aufgaben zusätzliche Kapazitäten zur
Verfügung stellen.
Diese Entwicklung ist jedoch keinesfalls ein Zeichen eines gut funktionierenden
Migrationssystems, sondern Ausdruck des Scheiterns vorheriger Prozesse und
Perspektiven - etwa durch fehlende Möglichkeiten des Spurwechsels oder
unzureichender Bleibeperspektiven über Ausbildung, Arbeit oder Studium. Wir
müssen es als Gesellschaft schaffen, mehr Geflüchteten dazu Zugang zu
ermöglichen und durch Prävention und Integration tragfähige Perspektiven zu
ermöglichen.
Abschiebehaft ist für uns GRÜNE nie politisches Ziel sondern Verpflichtung
innerhalb des gesetzlichen Rahmens.
Um die Situation im Rahmen des Möglichen zu verbessern, fordern wir als GRÜNE
NRW:
● Wir priorisieren vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltssituation in
der kommenden und den zukünftigen Haushaltsberatungen die Sicherstellung und
Ausweitung der Ausgaben des Landes NRW für Bildung, Sicherheit und eine
gelingende Integration im Sinne dieses Antrags über Abschiebemaßnahmen.
● Unser Ziel ist es entsprechend, den Bedarf an Abschiebehaftplätzen insgesamt
zu verringern, so dass in ständiger Evaluation deutlich wird, dass eine zweite
UfA nicht nur o.g. Zielen entgegensteht, sondern darüber hinaus auch nicht mehr
nötig ist.
● Die konsequente Umsetzung aller Angebote, die im Ausführungsgesetz für die
Abschiebungshaft vorgesehen sind: Möglicher Entfall von Angeboten aufgrund von
fehlenden finanziellen Ressourcen darf es bei Freizeit und Beratungsangeboten in
Einrichtungen nicht geben
● Eine Evaluierung des Aufenthaltsgesetzes, in dem der Personenkreis sowie die
Rahmenbedingungen für die Abschiebungshaft geregelt sind. Wir setzen uns für die
stärkere Nutzung von alternativen statt freiheitsentziehenden Maßnahmen ein und
● für die Rücknahme der beschlossenen Höchstdauer der Inhaftnahme zurück von 28
auf 10 Tage.
Wir stehen zu unseren Absprachen mit dem Koalitionspartner: Sowohl zu dem, was
im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, als auch zu den getroffenen Beschlüssen
im Kabinett.
Freiheitsentziehende Maßnahmen müssen immer dem Gebot der Verhältnismäßigkeit
folgen. Daher müssen andere Mittel Vorrang haben. Wir priorisieren vor dem
Hintergrund der angespannten Haushaltssituation in der kommenden und den
zukünftigen Haushaltsberatungen die Sicherstellung und Ausweitung der Ausgaben
des Landes NRW für Bildung, Sicherheit und eine gelingende Integration. Es
bleibt unser Ziel, Maßnahmen zu stärken, die eine Haft oder Ingewahrsamnahme
vermeiden.
Durch die Stärkung alternativer Maßnahmen soll der Bedarf an
freiheitsentziehenden Maßnahmen so gesenkt werden, dass die Auslastung sinkt und
der Bedarf für die Inbetriebnahme weiterer Infrastruktur nicht gegeben ist.