Veranstaltung: | Digitaler Landesparteirat GRÜNE NRW am 15.11.2020 |
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Tagesordnungspunkt: | KW NRW nach den Kommunalwahlen |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Landesparteirat |
Beschlossen am: | 15.11.2020 |
Eingereicht: | 15.11.2020, 12:30 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Städten und Gemeinden in der Pandemie den Rücken stärken – Für eine nachhaltige Finanzierung unserer Kommunen
Beschlusstext
Unsere Kommunen sind das Rückgrat der Pandemiebekämpfung. Die Städte, Gemeinden
und Kreise setzen aktuell den Großteil derjenigen Maßnahmen um, die die Corona-
Krise eindämmen sollen. Nicht zuletzt treffen sie auch auf Basis der jeweiligen
Situation die notwendigen Entscheidungen für Schutzmaßnahmen.
Bei der Pandemie zeigt sich, wie wichtig der Verfassungswert der Gleichwertigen
Lebensverhältnisse ist. Denn wie effektiv jede*r einzelne von uns gegen die
Pandemie geschützt wird, darf keinesfalls von unserem Wohnort abhängen. Doch
tatsächlich hängen die Möglichkeiten der Pandemie-Bekämpfung von der örtlichen
Kassenlage ab – etwa die Ausstattung der kommunalen Gesundheit- und
Ordnungsämter.
Corona bedroht die kommunalen Kassen
Gleichzeitig verschärft die Corona-Krise die finanziellen Probleme aller Städte
und Gemeinden in NRW. Die Kommunalhaushalte sind von enormen Einbrüchen
betroffen. Allein die Ausfälle bei den Gewerbesteuereinnahmen drohen die Erfolge
des Stärkungspaktes Stadtfinanzen mit einem Streich zunichte zu machen. Nach
Berechnungen der Steuerschätzer*innen ist allein 2021 mit Mindereinnahmen von
rund 6 Milliarden Euro bei der Gewerbesteuer und fast 9 Milliarden bei allen
Steuerarten zusammen zu rechnen. Davon entfällt mehr als ein Fünftel auf
Nordrhein-Westfalen. Hinzu kommen weitere Einbußen bei den Einnahmen aus dem
ÖPNV und anderer Leistungsbereiche. Außer Einnahmeverlusten müssen die Kommunen
auch Corona-Mehrkosten in Millionenhöhe stemmen, die derzeit nicht ausgeglichen
werden - für Gesundheitsämter, Testungen, Schutzmaterialen, Schulen,
Digitalisierung usw. Mit diesen Folgewirkungen dürfen die Städte, Gemeinden und
Kreise nicht alleine gelassen werden. Das Rückgrat der Pandemiebekämpfung muss
deutlich gestärkt werden.
Schon vor Corona: viele Probleme ungelöst
Unter der Landesregierung von Armin Laschet erleben wir eine aktive Schwächung
der kommunalen Finanzausstattung – zuletzt ganz unverhohlen, indem der
Landesfinanzminister Milliarden aus dem Corona-Rettungsschirm zweckentfremdet,
um die Fiktion einer schwarzen Null aufrechtzuerhalten. Bereits seit 2018 steht
fest, dass die Mittelzuweisung des Landes für die Unterbringung und Integration
geflüchteter Menschen in den Kommunen deutlich zu niedrig sind. Den Kommunen
wachsen die Kosten über den Kopf, gleichzeitig gehen die Ausgaben des Landes
weiter deutlich zurück. Das Land spart hier weiter zu Lasten der Kommunen und
der Menschen vor Ort.
Und auch eine Lösung der Altschuldenproblematik, die in der Nachfolge des
Stärkungspaktes dringend geboten wäre, bleibt die Landesregierung bis heute
schuldig. Entgegen wiederkehrender Ankündigungen liegt bisher kein eigenes
Konzept der Landesregierung vor - obwohl 2020 der Stärkungspakt ausläuft und das
Land ab 2021 durchschnittlich 440 Millionen Euro im Jahr einsparen wird.
Inzwischen ist klar: Die Landesregierung plant auch für das Jahr 2021 keine
Altschuldenlösung. CDU und FDP haben offenbar zu keinem Zeitpunkt an einer
solchen Lösung gearbeitet - ein klarer Bruch der Versprechen des
Koalitionsvertrages.
Bereits vor der Corona-Krise haben viele Kommunen darum gerungen eine
verlässliche Infrastruktur wie die Versorgung mit Breitband, Kitas und ÖPNV zu
gewährleisten. Fallen Steuereinnahmen weg, wird als erstes an der Infrastruktur
gespart. Um das zu verhindern, braucht es strukturelle Unterstützung, an der
sich Bund und Land beteiligen, und zwar mit einer Änderung des Grundgesetzes, um
die Grundvoraussetzungen für gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen.
Noch mehr Kredite sind keine Hilfe
Zu Beginn der Krise war es richtig und wichtig, technische Anpassungen im
Haushaltsrecht zu schaffen, damit die Kämmerer*innen nicht angesichts wachsender
Defizite den Geldhahn zudrehen und Haushaltssperren aussprechen mussten. Wir
Grüne haben unterstützt, dass die Möglichkeit zur Isolierung Corona-bedingter
Kosten geschaffen wird. Das war ein erster Schritt, um die Handlungsfähigkeit
der Kommunen in der Anfangsphase der Pandemie zu erhalten. Die Kommunen brauchen
jetzt aber dringend „echtes“ Geld, um die Krise zu bewältigen und anschließend
eine Chance zu haben, die finanzielle Lage wieder in den Griff zu bekommen.
Während der Bund mit der Erhöhung des Anteils der Kosten der Unterkunft und der
Gewerbesteuerkompensation für 2020 die Kommunen entlastet hat, kam aus
Düsseldorf keine echte Hilfe mehr. Die Gewerbesteuererstattung wird von der
Landesregierung gedeckelt und die Verluste werden nur anteilig ausgeglichen.
Sämtliche Förder- und Unterstützungsprogramme sind kreditbasiert, sodass viele
Corona-Folgen einfach nur in die Zukunft verschoben werden – vom Corona-
Rettungsschirm bis zur Erhöhung der Mittel aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz.
Was als schnelle Rettungsmaßnahme daherkommt, muss auf Euro und Cent von den
Kommunen ab 2025 ohne jede Hilfe des Landes über 50 Jahre an die Kreditgebenden
zurückgezahlt werden. Darüber hinaus müssen die Corona-Kosten dann zusätzlich
erwirtschaftet werden, was die städtischen Haushalte jährlich mit Millionen
belastet. Auf diese Weise werden die Kommunen in den nächsten Jahren Milliarden
an neuen Schulden aufbauen – und davon haben sie schon mehr als genug.
Verlässliche Finanzierung und mehr Raum für Investitionen
Die NRW-Kommunen brauchen jetzt eine verlässliche Finanzierung, um aus eigener
Kraft krisenfest handeln zu können und die nötigen Zukunftsinvestitionen zu
tätigen - für Klimaschutz, die Mobilitätswende, die Sanierung und Stärkung einer
leistungsfähigen kommunalen Infrastruktur mit starken Quartieren und für die
Bekämpfung der Pandemie.
Dafür ist die Umsetzung folgender Maßnahmen zentral:
- Land und Kommunen verständigen sich auf eine faire, auskömmliche und
verlässliche Regelung bei der Verteilung von Kosten insbesondere im
Bereich der Integration und Unterbringung von Geflüchteten, die sich an
den tatsächlichen Bedarfen orientiert. Dafür muss endlich eine
Verständigung über die Umsetzung des bereits seit 2018 vorliegenden
Gutachtens von Prof. Lenk stattfinden. Dieses zeigt eindeutig, dass die
Mittelzuweisung des Landes für die Unterbringung und Integration
Geflüchteter in den Kommunen deutlich zu niedrig sind und schlägt
eineErhöhung der Kopfpauschale vor. Bei der Umsetzung muss auch der
entsprechenden Ausgleich für die letzten Jahre berücksichtigt werden.
Diese Form der Finanzierung muss dann auch auf den Personenkreis der
sogenannten Geduldeten aus Landesmitteln übertragen werden.
- Bund und Land gleichen die dramatischen Steuerausfälle der Kommunen in
Milliardenhöhe auch über 2020 hinaus aus.
- Die Corona-bedingten Folgekosten, die von den Kommunen nun isoliert im
Haushalt erfasst werden, werden sowohl 2020 als auch in den Folgejahren
gerecht zwischen Land und Kommunen aufgeteilt. Hierfür werden Mittel aus
dem Sondervermögen des Landes in einen Fonds überführt, der bisher
ausschließlich zur Unterstützung des Landes eingesetzt wurde.
- Der Bund muss sich an einem Altschuldenfonds der Länder beteiligen. Ein
Zögern des Bundes darf aber dem Land NRW nicht länger als Ausrede für sein
eigenes Nicht-Handeln dienen. Das Land muss mit einem Neustartfonds den
Kommunen ermöglichen, ihre Altschulden über einen vertretbaren Zeitraum
von maximal 30-35 Jahren abzubauen und sich somit endlich von den
Kassenkrediten zu befreien. Unsere Fraktion hat dafür bereits im Jahr 2018
einen eigenen Vorschlag entwickelt und im Landtag vorgelegt, mit dem die
Lösung der Altschuldenproblematik innerhalb von dreißig Jahren realistisch
gelingen kann. Aufgrund der noch günstigen Zinslage ist es möglich, dieses
Konzept selbst ohne Hilfe des Bundes umzusetzen. Dies kann mit den
Mitteln, die das Land bislang in den Stärkungspakt Stadtfinanzen
eingezahlt hat, sowie den Zinsaufwendungen der Kommunen geschehen.
- Es ist zu begrüßen, dass der Bund die wesentliche Ursache für die
Entstehung der Schulden, nämlich die unterschiedlich hohe Finanzierung der
Soziallasten, jetzt durch eine erheblich höhere eigene Beteiligung (75%
statt durchschnittlich 50% der Kosten der Unterkunft) auffängt. Allerdings
muss sich der Bund auch an den bereits aufgelaufenen Kosten beteiligen und
die entsprechenden Konsolidierungsprogramme der Länder zugunsten der
Kommunen unterstützen. Für Hessen und das Saarland liegen solche Programme
bereits vor. Nordrhein-Westfalen muss jetzt handeln und mit dem Bund über
eine Beteiligung verhandeln, um den Finanzierungszeitraum und die
Belastungen für die Kommunen zu reduzieren.
- Darüber hinaus braucht es ein kommunales Investitionsprogramm des Landes
zur Ankurbelung der Wirtschaft - dazu gehört u.a., lokale Konzepte für die
Gastronomie und zur Stärkung und Modernisierung der Zentren und
Innenstädte vor Ort massiv finanziell zu unterstützen. Durch die Krise
müsste endlich allen klar sein: Für einen schlanken Staat zahlen wir am
Ende eine hohe Rechnung. Wir müssen die Strukturen für obdachlose Menschen
dauerhaft verbessern. In den Städten muss eine vorsorgende
Gesundheitspolitik ebenso möglich sein, wie der Aufbau starker
öffentlicher Einrichtungen. Statt wie die Landesregierung Standards für
barrierefreies Wohnen vollständig abzubauen, brauchen wir bezahlbare und
barrierefreie Wohnungen in lebenswerten Dörfern und Quartieren. Wir
brauchen einen handlungsfähigen Sozialstaat, der die Menschen auffängt.
Wir brauchen aber auch eine handlungsfähige Wirtschaft, die nicht
einseitig von Billiglieferanten abhängig ist. Umso unverständlicher wäre
eine Aufgabe des Lieferkettengesetzes.
- Gerade Investitionen in den Klimaschutz und die Sanierung von Schulen
(Gute Schule 2025) sind dringend erforderlich, um die Bedingungen für
einen gelingenden Unterricht auch in Zeiten der Pandemie zu schaffen und
für eine strukturelle Modernisierung zu sorgen. Dadurch unterstützen wir
zudem das Handwerk und entlasten die kommunalen Haushalte spürbar. MIt
Investitionen in Zukunftsfelder tragen wir der Generationengerechtigkeit
Rechnung. Marode Infrastruktur ist ein Schuldenberg, den wir abtragen
wollen. Zinslose Kreditangebote des Landes, die die Stoßrichtung eines
Investitionsförderprogramms haben, dürfen nicht dazu führen, dass die
Kommunen durch die Inanspruchnahme in eine haushälterische Schieflage
geraten.
- Die Programme müssen so ausgestaltet werden, dass eventuelle
Baukostensteigerungen, wie sie aktuell in vielen Fällen zu beobachten
sind, nicht alleine bei den Kommunen hängen bleiben.
- Die Kommunen müssen dauerhaft in die Lage versetzt werden, aus eigener
Kraft ihre Aufgaben bewältigen zu können und ausreichende Spielräume für
Zukunftsinvestitionen zu haben. Der Bund soll gemeinsam mit den
Bundesländern und den Kommunen eine neue Gemeindefinanzreform anstrengen,
um die Kommunalfinanzen künftig für alle Städte und Gemeinden und ihre
besonderen Bedarfe auskömmlich auszugestalten. In diesem Zusammenhang muss
das Konnexitätsprinzip („Wer bestellt, bezahlt.“) zwischen Bund und
Kommunen verankert werden.
- In vielen Regionen kämpfen Städte und Gemeinden seit längerem damit, ihren
Bürger*innen verlässliche und gute Kitas, Busse, Schulen und vieles mehr
zu gewährleisten. Die klammen Kassen der Kommunen erschweren dies nun
weiter. Wir fordern daher einen „Pakt für Lebenswerte Regionen“ von Bund
und Ländern. Mit diesem Pakt sollen gezielt diejenigen Regionen finanziell
unterstützt werden, die Schwierigkeiten mit der Grundversorgung haben. So
bekommen sie mit Regionalbudgets die Möglichkeit, ihre
Infrastrukturprobleme selbst anzugehen. Überall im Land sollen gesicherte
Standards für Infrastruktur, z.B. für schnelles Internet und regionale
Mobilität, erreicht werden. Das Grundgesetz muss dafür um die
Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“ ergänzt werden – nur so
kann der Pakt finanziert werden.
Lebenswerte Kommunen und gleichwertige Lebensverhältnisse dürfen nicht nur ein
Versprechen in der Verfassung sein, sondern sind unverzichtbare Voraussetzung
für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land.