Dies ist der zweite Teil eines zusammenhängenden Antrags!
Eine unserer Stärken als Grüne ist die Fähigkeit zur selbstkritischen Weiterentwicklung, wie sie sich in unserem Vielfaltsstatut widerspiegelt. Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen ist tief in unserer Gesellschaft verankert und durchzieht unbewusst unser Denken. Dies zu ändern erfordert einen grundlegenden Perspektivwechsel und ist ein anstrengender Prozess der Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung, dem wir uns als Partei ja stellen wollen. Dazu gehört auch, Antragsentwürfe selbstkritisch auf eingeschliffene Muster zu überprüfen und entsprechend zu ändern.
Menschen mit Behinderungen werden in der politischen Diskussion häufig auch implizit auf Rollstuhlfahrende und Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen reduziert, was in keiner Weise der realen Vielfalt von Behinderungen gerecht wird. Dem sollten wir etwas entgegensetzen, auch indem wir durch Beispiele andere relevante und bislang weitgehend unbeachtete Gruppen sichtbar machen. Insgesamt sollte der Fokus in einem Antrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels auch eben dort liegen und die Breite der Möglichkeiten und Maßnahmen in den Blick nehmen.
Fachleute halten das Problem des Fach- und Arbeitskräftemangels aufgrund des demographischen Wandels für dramatisch unterschätzt, mittel – und langfristig gefährde nichts so sehr unseren Wohlstand und auch die Fähigkeit, auf die Klimakrise zu reagieren! Daher ist der Antrag insgesamt so wichtig und wir freuen uns sehr, dass der Landesvorstand die Initiative ergriffen hat.
Da die Zahl der Menschen mit Behinderungen so groß ist – ca. 10% sind offiziell als Menschen mit Schwerbehinderung anerkannt, dazu kommen eine hohe Dunkelziffer und Menschen mit leichteren Behinderungen sowie chronisch Erkrankte, insgesamt geht man von einem Viertel der Bevölkerung aus – sollte das Thema auch einen entsprechenden Stellenwert bekommen. Es ist pure Notwendigkeit, Menschen mit Behinderungen nicht länger nur als Objekte der Fürsorge oder als vor dem Hintergrund der Menschenrechte zu schützende Gruppe zu betrachten, sondern als wertvolle und potenziell leistungsfähige Mitglieder der Gesellschaft, die einen großen Beitrag zur Reduzierung des Fachkräftemangels leisten können, wenn man sie lässt. Das erfordert eine umfassende Strategie, die sowohl kurz- als auch langfristig wirkt und sämtliche Bereiche umfasst. Das von uns gewählte Beispiel von Autist*innen ist symptomatisch und verdeutlicht sowohl das Problem als auch das Potenzial. Gerade hochfunktionale Autist*innen könnten sehr leistungsfähig sein, verfügen meist über für den Arbeitsmarkt sehr wertvolle Eigenschaften und Fähigkeiten wie strukturierte Arbeitsweise, Kreativität, Loyalität und Ehrlichkeit, scheitern aber meist bereits im Bewerbungsverfahren aufgrund ihrer Andersartigkeit. Selbst wenn sie objektiv über bessere Qualifikationen verfügen, werden fast immer andere Bewerber*innen vorgezogen. Um dies zu ändern braucht es Wissen auf Seiten der Arbeitsvermittlung und der Arbeitgebenden. Anpassungsbereitschaft, Beratung und Begleitung könnten hier ein erhebliches Fachkräftepotenzial heben, insbesondere, wenn auch das Bildungssystem umfassend inklusiv wird. Es gibt bereits Projekte und spezialisierte Träger, die meist nur regional tätig sind, aber große Erfolge vorzuweisen haben. Ein wichtiger Baustein ist es, Menschen ernsthaft vor Diskriminierung zu schützen. Denn wenn ständig traumatisierende Ausgrenzungserfahrungen gemacht werden, hat das Folgen. Auch der oft zermürbende Kampf um notwendige Unterstützung und Nachteilsausgleiche kostet zu viel Kraft, die dann an anderen Stellen fehlt.