Veranstaltung: | Landesparteirat GRÜNE NRW am 16. April 2023 in Herne |
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Tagesordnungspunkt: | 3. Antrag zum Thema Fachkräftemangel |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesparteirat |
Beschlossen am: | 16.04.2023 |
Eingereicht: | 18.04.2023, 13:45 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Zusammen das Beste geben: Mit Qualifikation, Teilhabe und Einwanderung mehr Fachkräfte gewinnen
Beschlusstext
Der Fach- und Arbeitskräftemangel in Nordrhein-Westfalen ist keine
branchenspezifische, sondern eine branchenübergreifende Herausforderung, die von
der Pflege und dem Gesundheitswesen, über die Industrie und die Unternehmen, das
Handwerk bis hin zu den Sozial-, Lehr- und Erziehungsberufen sowie der
öffentlichen Verwaltung und Justiz nahezu jeden Bereich betrifft. Der
Fachkräftemangel ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Denn er
betrifft viele systemkritische und lebenswichtige Leistungen der
Daseinsvorsorge.
Der Mangel an Fach- und Arbeitskräften ist bereits jetzt deutlich spürbar. In
NRW fehlen schon heute über 400.000 Fachkräfte – überwiegend aus dem Bereich der
beruflich Qualifizierten. Bis zum Jahr 2030 werden es schon über 700.000
fehlende Fachkräfte in NRW sein. Die Situation wird sich in den nächsten Jahren
verschärfen, wenn wir nicht jetzt mittel- und langfristige Maßnahmen ergreifen.
Die Gründe für den Fachkräftemangel sind vielfältig: der demografische Wandel
und der Trend zur Akademisierung, der nicht immer den tatsächlichen Bedarf des
Arbeitsmarktes und die Bedürfnisse der Menschen selbst widerspiegelt, sind
wesentliche Gründe dafür.
Schon heute führt der Fach- und Arbeitskräftemangel zu großen Herausforderungen
in den verschiedenen Sektoren und besonders im ländlichen Raum. Der
Fachkräftemangel hat sich in den Sozial-, Erziehungs- und Lehrberufen dramatisch
verschärft und hat dabei unweigerlich Auswirkungen auf die Qualität der
pädagogischen Arbeit. Das Fachkräftedefizit in den Sozialberufen gefährdet nicht
nur das sichere Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen, etwa durch fehlendes
Personal in den Kitas, in der offenen Kinder- und Jugendarbeit und in der
Jugendhilfe, sondern auch die individuelle Chancengerechtigkeit insbesondere von
Kindern und Jugendlichen, die auf hochwertige Angebote in Bildung, Erziehung und
Betreuung angewiesen sind. Für die Betreuung von Geflüchteten, die Schutz und
Unterstützung benötigen, braucht es zusätzlich ausreichend und gut
qualifiziertes Personal. Fehlende Fachkräfte in den Erziehungsberufen bedeuten
weniger Kita-Plätze, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unmöglich oder
zu einem regelmäßigen aufreibenden Drahtseilakt werden lassen – was wiederum zur
Folge hat, dass in anderen Bereichen Fachkräfte fehlen.
Ein Mangel an Ärzt*innen auf dem Land macht die Wege weit und gefährdet dort die
Daseinsvorsorge insbesondere für ältere und mobilitätseingeschränkte Menschen.
Gleichermaßen stellen Engpässe in den Pflegeberufen eine alternde Gesellschaft
vor große Herausforderungen und erschweren die Vereinbarkeit von Beruf und
Sorgearbeit. Der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst, ob in der Verwaltung,
der Justiz, in den Jobcentern, im Schuldienst, in den Krankenhäusern,
Rettungsdiensten oder der Feuerwehr und Polizei, hat massive Auswirkungen auf
die Arbeitsfähigkeit und Daseinsvorsorge der Menschen und des Staates.
Förderverfahren, Hilfen und Zuschüsse können nur von einer personell ausreichend
ausgestatteten Verwaltung erfüllt werden. Wir alle profitieren davon, wenn
Förderanträge schneller bearbeitet werden, aber insbesondere für Menschen, die
ihn dringend benötigen, ist es eine existenzielle Frage, ob beispielsweise ihr
Wohngeldantrag zeitnah bewilligt oder ihnen rechtzeitig eine
Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt wird. Der Fachkräftemangel im öffentlichen
Dienst schränkt schon heute die Handlungsfähigkeit der Behörden ein, was
unausweichliche Auswirkungen auf die Qualität und Quantität der Arbeit und das
gemeinschaftliche Zusammenleben hat.
In der Wirtschaft und Industrie belastet der Fach- und Arbeitskräftemangel fast
die Hälfte der Unternehmen. So erschwert der Mangel in der Logistik die
pünktliche Belieferung mit Rohstoffen und Vorarbeit der Industrie. Der Mangel an
Fachkräften im Handwerk bremst die Energie-, Bau-, Verkehrs- und Wärmewende aus,
beispielsweise beim Zubau erneuerbarer Energien, bei der energetischen Sanierung
unserer Gebäude oder dem Umbau unserer Verkehrsinfrastruktur. Wir GRÜNE NRW
sehen im Handwerk einen zentralen Verbündeten für den Klimaschutz, genügend und
gut geschulte Handwerker*innen sind für die Erfüllung der Klimaschutzziele
unabdingbar.
Je mehr Fachkräfte wegfallen und nicht nachkommen, desto mehr lastet die viele
Arbeit und der Druck auf den Schultern einiger Weniger, die im Beruf geblieben
sind – womit wiederum das Risiko steigt, dass auch diese verbliebenen
Arbeitskräfte erschöpft den Beruf verlassen. Der Fachkräftemangel ist also nicht
nur eine Bedrohung für den Wohlstand unseres Landes, er ist auch für die
Menschen in unserem Land ein Risikofaktor. Klar ist, nicht nur für das Meistern
der Transformation zu klimaneutralem Wohlstand braucht es genügend und gut
qualifizierte Fachkräfte, sondern auch für eine starke soziale Infrastruktur,
die in diesem Transformationsprozess einer Verschärfung von sozialen
Ungleichheiten entgegenwirkt. In allen Bereichen gehen die Beschäftigten nach
wie vor bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit – und darüber hinaus – und
leisten großartige und hochmotivierte Arbeit. Diese Menschen werden wir nicht
allein lassen.
Fachkräftepotenzial wecken
NRW braucht viele und gut qualifizierte Fachkräfte – für ein gut
funktionierendes Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem, für eine nachhaltige
und am Gemeinwohl orientierte Wirtschaft, für nachhaltigen Wohlstand, für
Lebensqualität, Biodiversität und Klimaschutz. Um den Fachkräftemangel zu
bekämpfen, bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes. Wir GRÜNE NRW wollen das
Fachkräftepotenzial in NRW wecken. Dafür starten wir eine Fachkräfteoffensive,
denn nur mit offensiven Maßnahmen lässt sich das Problem dauerhaft und somit
nachhaltig lösen. Dabei adressieren die folgenden fünf Lösungsansätze den
Fachkräftemangel aus den verschiedensten Bereichen.
So wollen Bündnis 90/Die Grünen NRW das Fach- und Arbeitskräftepotenzial in NRW
wecken:
- Erwerbspotenziale wirksamer heben.
- Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland durch ein modernes
Einwanderungsrecht ermöglichen.
- Berufliche Ausbildung stärken.
- Weiterbildung und Seiteneinstieg fördern.
- Arbeitsplätze attraktiver machen.
Chancen am Arbeitsmarkt für Alle schaffen
In NRW gibt es viel Potenzial, um die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen: Eltern in
der Familienphase, Alleinerziehende, Menschen, die Angehörige pflegen, Menschen
mit Behinderung und Menschen mit Einwanderungsgeschichte. In der überwiegenden
Zahl sind es Frauen, die für die Betreuung der Familie oder die Pflege der
Angehörigen in der Erwerbsarbeit kürzertreten und unbezahlte Sorgearbeit
leisten. Das führt dazu, dass sie in ihrem Erwerbsleben weniger verdienen, sich
weniger beruflich entfalten können und sich das Risiko für Altersarmut erhöht.
Wir GRÜNE NRW erkennen an, dass vor allem Frauen durch eine mangelnde
Vereinbarung von Care-Arbeit und Beruf massive Nachteile erleiden, die wir
entschieden bekämpfen wollen. Viele möchten (wieder) in ihren alten Beruf
einsteigen oder mittels Quereinstiegs einen neuen Beruf bestreiten. Andere
wiederum möchten eine Aufstockung ihrer Arbeitsstunden. Wir müssen diejenigen
entlasten, die unter der Belastung leiden, Beruf und Care-Arbeit gleichzeitig zu
stemmen und sie in ihrer beruflichen Laufbahn unterstützen. Die Vereinbarkeit
von Sorgearbeit und Beruf kann nur dann vollständig und zufriedenstellend
funktionieren, wenn bürokratische Hürden und systematische Benachteiligungen
beendet werden. Auf Landesebene braucht es hierfür eine starke Infrastruktur für
Vereinbarkeit durch ausreichend Betreuungsplätze und qualitative, flexible
Kinderbetreuung. Die Lage in den Kindertageseinrichtungen, den stationären
Jugendhilfeeinrichtungen und Krankenhäusern ist zum jetzigen Zeitpunkt zum Teil
dramatisch. Besonders deshalb bedarf es in diesem Sektor ganzheitliche,
zukunftsgewandte Lösungsansätze. Zudem müssen Unternehmen dabei unterstützt
werden, flexible Arbeitszeitmodelle – wo möglich – anzubieten, damit sich
Mitarbeiter*innen nicht entscheiden müssen, ob sie sich um ein Familienmitglied
kümmern oder Erwerbsarbeit leisten. Care-Arbeit wird überdurchschnittlich von
Frauen ausgeführt, die hierfür nicht entlohnt werden. Diese Aufteilung ist nicht
fair und es braucht hier ein gesellschaftliches Umdenken.
Das Fachkräftepotenzial müssen wir auch für die bereits hier lebenden Menschen
mit Einwanderungsgeschichte heben, indem wir die Anerkennung von ausländischen
Abschlüssen verbessern und Menschen einen fairen Zugang entsprechend ihrer
Kompetenz zum Arbeitsmarkt gewähren. Dabei gilt es auch strukturelle
Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und bei der Vermittlung von Arbeit zu
bekämpfen, um Karrierewege zu eröffnen und Perspektiven zu geben. Die
Fachkräfteoffensive erfordert nicht nur einen Blick ins Ausland, um Chancen aus
der Zuwanderung zu nutzen.
Fachkraft braucht Inklusion
Ein inklusiver Arbeitsmarkt in einer inklusiven Gesellschaft ist nicht nur die
Forderung der UN-Behindertenrechtskonvention, sondern eine wichtige Säule bei
der Bekämpfung des Fachkräftemangels. Menschen mit Behinderungen und
neurodivergente Menschen können dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Dazu
braucht es ein Umdenken, um das große Potenzial zu heben, welches in diesen von
Diskriminierung betroffenen Gruppen in NRW steckt. Eine wichtige Voraussetzung
ist ein Bewusstseinswandel weg von der Defizitorientierung und hin zur
Betrachtung des individuellen Profils aus Stärken und Schwächen eines jeden
Menschen. Denn viele engagieren sich zwar ehrenamtlich, schaffen aber den Sprung
oder die Rückkehr ins Erwerbsleben viel zu selten. Häufig sind sie von hoher
Arbeitslosigkeit oder prekären Arbeitsbedingungen betroffen. Um noch mehr
Menschen als qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen, setzen wir uns für
attraktive Arbeitsplätze mit fairer Entlohnung ein. Wir bauen Barrieren und
Hürden ab, die Menschen mit Behinderungen und neurodivergenten Menschen, aber
oft auch Unternehmen und Betrieben, die sie einstellen wollen, im Wege stehen.
Hierfür müssen entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden, wie vereinfachte
Antragsverfahren und eine umfassend barrierearme Infrastruktur, vom
Bildungssystem bis hin zu Verwaltung, Verkehr und ÖPNV. Denn eine
selbstbestimmte Teilhabe aller Menschen am Arbeitsmarkt ist eine Voraussetzung
für die Zukunft eines starken Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen.
So wollen wir von Bündnis 90/die Grünen das Fachkräftepotenzial für alle heben:
- Ein Antidiskriminierungsgesetz für NRW zur Unterstützung von
Diskriminierung betroffenen Menschen mit Behinderungen.
- Die Vermittlungsquote in den ersten Arbeitsmarkt aus den exkludierenden
Werkstätten für behinderte Menschen steigern.
- Breite Aufklärungskampagnen zum Abbau von Vorurteilen und falschen
Klischees sowie erfolgreiche lokale Projekte auf ganz NRW ausweiten.
- Mehr spezialisierte Arbeitsvermittlung, Beratung und Begleitung, sowie
gezielte Weiterbildungen der zuständigen Mitarbeiter*innen von Behörden
und Bildungsträgern.
- Beratung und Unterstützung für behinderte Menschen, die sich selbstständig
machen wollen.
Fachkraft braucht Bildung: Für ein starkes und faires Bildungsland NRW
Wir müssen auf dem Arbeitsmarkt jüngeren Generationen Chancen ermöglichen. Das
beginnt mit der frühkindlichen Bildung, benötigt auch einen sicheren
Schulabschluss und geht mit einer erfolgreichen beruflichen Ausbildung weiter.
Mit einem Schulabschluss ist die Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen,
deutlich größer. Zehntausende verlassen die Schulen in NRW ohne Schulabschluss –
das werten wir als staatlichen Misserfolg; weitere junge Menschen bringen ihre
Ausbildung nicht zu Ende. Wir brauchen mehr individuelle Hilfsangebote, aber vor
allem mehr Chancen, die sich durch jeden Schul- und Ausbildungsabschluss
ergeben.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen NRW wollen:
- uns auf Landesebene dafür einsetzen, dass mehr Möglichkeiten für bezahlte
Praktika geschaffen werden. Denn wer ohne finanzielle Not die Möglichkeit
bekommt, sich in verschiedenen Berufen zu orientieren, erweitert seine
eigenen Kompetenzen und hat mehr Möglichkeiten zur beruflichen
Orientierung.
- umfangreichere Beratung für Menschen mit Behinderung über die Alternativen
zur Werkstatt für behinderte Menschen.
- gendersensible Berufsorientierung stärken, um das Berufswahlspektrum zu
vergrößern, Orientierungstage und Praxisabschnitte verstärkter fördern.
- es für Unternehmen attraktiver machen mit Unterstützungsprogrammen von
Berufskammern, wie beispielsweise IHKn und HWKn, Bildungseinrichtungen
oder, auf Grundlage des Qualifizierungschancengesetzes, auch Menschen mit
einem geringeren Bildungsabschluss durch Aus- und Weiterbildung eine
berufliche Zukunft zu bieten.
- dort, wo staatliches Geld ausgegeben wird, z. B. bei der Vergabe von
öffentlichen Aufträgen, gilt es besonders Gerechtigkeitsaspekte wie
Ausbildung und Behinderung zu berücksichtigen und dadurch die
Fachkräftegewinnung zu stärken.
- mehr niedrigschwellige Beratungen in den Schulen zur Prävention von
psychischen Belastungssituationen ermöglichen.
- den Fokus auf schulabstinente Jugendliche verstärken und vermehrt
Programme zur Reintegration in den Schulalltag entwickeln und
unterstützen.
Ein modernes Einwanderungsrecht ermöglichen
NRW ist seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. Von dieser Einwanderung
profitieren wir auf vielfältige Weise. Um dem Fachkräftemangel zukünftig zu
begegnen, sind wir so auch auf Zuwanderung noch stärker angewiesen. Damit sich
NRW als attraktiver Standort für Fachkräfte aus dem Ausland positioniert, ist
eine gesamtgesellschaftliche Wertschätzung unserer neuen Mitbürger*innen
besonders wichtig. So müssen wir ein modernes Einwanderungsrecht schaffen. Dazu
gehört eine unbürokratische und beschleunigte Anerkennung ausländischer
Abschlüsse und Berufsqualifikationen, ohne geltende Qualitätsstandards
einzubüßen. Wir begrüßen daher die Bemühungen der Bundesregierung, etwa durch
das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, die Erwerbsmigration zu vereinfachen und
Deutschland für ausländische Fachkräfte attraktiv zu machen. Flächendeckende,
leicht zugängliche und zielgruppenspezifische Sprach- und Integrationskurse sind
der Schlüssel für die schnelle Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Insbesondere
Sprachkurse, die in enger Verzahnung mit der jeweiligen Arbeitsstelle angeboten
werden, unterstützen nicht nur die schnelle Eingliederung in das Unternehmen,
sondern vereinfachen auch das Ankommen. Der Familienzuzug muss zudem
unkompliziert möglich sein. Darüber hinaus sind gut ausgestattete
Migrationsberatungsstellen entscheidend.
Geduldeten Menschen soll der Abschluss eines Ausbildungsvertrags sowie der
Einstieg auf dem Arbeitsmarkt selbst erleichtert werden. Wir GRÜNE NRW sehen in
der 3+2-Regelung des Aufenthaltsgesetzes ein wichtiges Instrument, um geduldeten
Menschen einen gesicherten Aufenthaltsstatus für die Zeit der Ausbildung zu
geben und zunächst für die darauffolgenden zwei Jahre der Beschäftigung, um in
den erlernten Beruf einzusteigen. Mit der 3+2-Regelung geben wir nicht nur
Menschen mit Duldung die nötige Sicherheit, ihre Ausbildung in Ruhe
abzuschließen und ins Berufsleben zu starten, sondern auch den
Handwerksbetrieben und mittelständischen Unternehmen Gewissheit, dass sie nicht
mit dem plötzlichen Verlust der neu eingestellten Mitarbeiter*innen rechnen
müssen. Der sogenannte „Spurwechsel“ ist damit nicht nur aus humanitären Gründen
richtig, sondern auch aus volkswirtschaftlichen Gründen notwendig.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen NRW wollen:
- das Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesregierung gut in NRW umsetzen
und dafür die notwendigen Strukturen schaffen.
- ein flächendeckendes Angebot von Sprach- und Integrationskursen -
insbesondere durch das BAMF - in der Stadt und auf dem Land schaffen.
Insbesondere bei Kursen der berufsbezogenen Sprachförderung wollen wir
prüfen, wo die verschiedenen Spezialkurse für bestimmte Berufsgruppen in
enger Kooperation mit dem Arbeitsmarkt verzahnt werden können, um einen
Praxisbezug und Kontakte zu Unternehmen und Einrichtungen herzustellen.
- uns für eine volle Ausschöpfung und Stärkung der 3+2-Regelung des
Aufenthaltsgesetzes einsetzen, um Menschen mit Duldung und Unternehmen
eine klare Perspektive zu geben.
- den Spurwechsel im Aufenthaltsrecht ermöglichen.
- dass neben Abschlüssen und Berufserfahrungen von Geflüchteten bereits auch
deren Kompetenzen durch das Ermöglichen von Probearbeit frühzeitig erfasst
werden und Hilfe bei der Anerkennung dieser geleistet wird.
Berufliche Ausbildung stärken
Wir brauchen eine moderne und leistungsfähige Berufsausbildung, damit die
Sozial- und Gesundheitswirtschaft, die Unternehmen, das Handwerk und der
öffentliche Dienst wettbewerbs- und handlungsfähig bleiben. Dafür müssen wir
weiterhin alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um die Berufsausbildung wieder
attraktiver zu machen. Eine Fachkräfteoffensive geht nicht ohne eine
Ausbildungsoffensive. Allein in NRW waren im letzten Jahr 17.000 junge Menschen
auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, 40.000 junge Menschen waren in
Übergangsprogrammen. Wir GRÜNE NRW wollen allen jungen Menschen eine sichere
Perspektive bieten, daher setzen wir uns für eine Lösung ein, die es allen
jungen Menschen ermöglicht, einen vollwertigen Berufsabschluss zu erreichen. Der
Rechtsanspruch auf eine Ausbildung auf Bundesebene ist hier ein guter Anfang.
Sollten sich Lücken in der Ausbildungsgarantie ergeben, werden wir prüfen wie
wir als Land gegensteuern können. Auf Bundesebene und auf Landesebene machen wir
uns dafür stark, dass mehr Unternehmen Ausbildungsplätze bereitstellen. Wir
wollen die Beratung von klein und kleinst Unternehmen bei der Bereitstellung von
Ausbildungsplätzen fördern. Gerade für die schulische Ausbildung in Bereichen
des akuten Fachkräftebedarfs, wie den Erziehungs- sowie Gesundheits- und
Pflegeberufen, dürfen keine zusätzlichen finanziellen Lasten entstehen. Wir
GRÜNE NRW stehen weiterhin für die Schulgeldfreiheit vollzeitschulischer
Berufsausbildung und eine faire Vergütung. Hierfür gilt es, die tarifliche
Bindung in der beruflichen Ausbildung zu stärken.
Zudem sind potenzielle Vorurteile gegenüber der beruflichen Ausbildung
abzubauen. Kinder aus Akademiker*innenhaushalten machen seltener eine
Berufsausbildung. Erst wenn das Bild der Gesellschaft geradegerückt ist, werden
wir das Fachkräftepotenzial heben. Die Ausbildung ist eine Bildungsbiografie
erster Klasse.
Damit das deutlich wird, müssen Schüler*innen an allen Schulformen über die
Chancen und Vorteile einer Berufsausbildung informiert werden, natürlich auch an
Gymnasien. Wir GRÜNE NRW tragen als Partei die Aufgabe, ein
gesamtgesellschaftliches Umdenken anzustoßen und die gesellschaftliche Akzeptanz
durch geeignete Maßnahmen zu stärken. Denn fest steht: Gerade die berufliche
Bildung eröffnet Chancen auf attraktive Karrieren, Handwerk hat goldenen Boden.
Auch in der Wirtschaft muss es hier ein Umdenken geben, denn nicht für jeden
Beruf muss man zwingend studiert haben. Für GRÜNE NRW gilt: Berufliche und
akademische Bildung ist gleichwertig! Ein wichtiger Impuls, dies Realität werden
zu lassen, ist die klare Verständigung im Koalitionsvertrag mit der CDU NRW, die
Anerkennung der Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung im
Rahmen des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (DQR)
verbindlich zu machen. Gleichwertigkeit äußert sich auch in den Kosten, daher
ist es das Ziel, die Kosten der Meisterausbildung für die Teilnehmer*innen
deutlich zu senken. Am Ende muss die Kostenfreiheit für die Teilnehmer*innen der
Weiterbildung zum Meister sowie zu gleichgestellten Weiterbildungen stehen.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen NRW wollen:
- mehr Ausbildungsbotschafter*innen an die Schulen bringen, die die
Schüler*innen aller Schulformen über persönliche Erfahrungen einer dualen
Ausbildung informieren, Austausch auf Augenhöhe bieten und Neugierde
wecken.
- eine Anpassung der Ausbildungsrahmenpläne über das Bundesinstitut für
Berufsbildung (BIBB) mit Blick auf Fähigkeiten der zukünftigen
Arbeitswelten.
- das Erfolgsmodell „Kein Abschluss ohne Anschluss“ weiterentwickeln und für
Jugendliche mit besonderem Unterstützungsbedarf anpassen.
- Azubiwohnheime aus-und barrierefrei umbauen und die Möglichkeit zur Teil-
und Teilzeitausbildung erhöhen, den Zugang zu BaFöG erleichtern um die
berufliche Ausbildung für mehr Menschen realisierbar zu machen.
- die Finanzierung außerbetrieblicher und schulischer Ausbildungszentren
stärken und Bildungsorte modernisieren.
- eine größere Unterstützung von überbetrieblichen Ausbildungszentren in
Zusammenschluss von Unternehmen, gerade für kleinere Unternehmen, um
Ausbildung auch dort besser zu ermöglichen.
- prüfen, wie in Mangelberufen Ausbildungs- und Studienplatzkapazitäten
erhöht werden können.
- Fachklassen auch dann regional durch flexible Lösungen zu sichern, wenn
die Mindestschülerzahl nicht erreicht wird, um lange Wege zur
Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) und Berufsschulen und -
kollegs zu vermeiden.
Arbeit anpackbar machen
Vor dem Hintergrund der Transformation hin zur ersten klimaneutralen
Industrieregion Europas, werden Weiterbildung, Umschulung und Seiteneinstieg
zentrale Rollen bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels zukommen. Die
Arbeitsfelder vieler Berufe wandeln sich schon heute stark durch
Dekarbonisierung und Digitalisierung. Für die Menschen ist Weiterbildung ein
zentrales Mittel, um erwerbsfähig zu bleiben und nicht durch technischen
Fortschritt und den Strukturwandel abgehängt zu werden. Wo für die einen die
Weiterbildung zur Notwendigkeit wird, verspüren die anderen den freiwilligen
Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten.
Der Seiteneinstieg bietet Chancen, dem Wunsch nach beruflicher Neuorientierung
nachzukommen oder auf persönliche Umbrüche reagieren zu können und weiterhin
erwerbsfähig zu bleiben. In allen Berufsbereichen, in denen akuter Fachkräfte-
und Arbeitskräftemangel herrscht, und besonders in den Sozial-, Erziehungs- und
Pflegeberufen, wollen wir prüfen, durch welche weiteren akademischen und nicht-
akademischen Abschlüsse wir Quer- und Seiteneinsteiger*innen gewinnen.
Weiterbildung ist ein Zeichen der Stärke, der Wechsel in Arbeitsbiografien die
neue Normalität.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen NRW wollen:
- bei den essenziellen Branchen für unseren Strukturwandel eine
Informationskampagne für mehr Weiterbildung und Umschulungsmöglichkeiten
starten und eine größere finanzielle Unterstützung ermöglichen.
- die Fördermöglichkeiten der Agentur für Arbeit, der Jobcenter (und damit
des Bürgergeldes) und anderen Leistungsträgern von Weiterbildungen, wie
der Deutschen Rentenversicherung bei Leistungen zur Teilhabe am
Arbeitsleben, nutzen, um mehr Menschen eine Weiterbildung zu ermöglichen.
- prüfen, welche akademischen und nicht-akademischen Abschlüsse in den
verschiedenen Sektoren einen Quer- und Seiteneinstieg möglich machen
können.
- mehr modularisierte Ausbildungsformen stärken und Anrechenbarkeit von
bereits erbrachten Leistungen berücksichtigen.
Arbeitsplätze attraktiver machen
Das Fachkräftepotenzial können wir nur wecken, wenn Erwerbstätige gute und an
ihren Bedürfnissen und Anforderungen angepasste Arbeitsbedingungen auf dem
Arbeitsmarkt vorfinden. Zukunftsfeste Jobs, tarifliche Bezahlung, flexible
Arbeitszeiten, Teilzeit, Barrierefreiheit, Aufstiegsmöglichkeiten und guter
Arbeits- und Gesundheitsschutz sind hierfür essenzielle Rahmenbedingungen. Dabei
bietet die in so vielen Bereichen unserer Gesellschaft zwingend notwendige
Transformation große Chancen für die Unternehmen, nicht nur ihr Geschäftsmodell
zukunftsfähig aufzustellen, sondern in Zeiten des Fachkräftemangels vor allem
eine Chance attraktive Arbeitsplätze bieten zu können. Wir GRÜNE NRW wollen
hierzu weiterhin im engen Austausch mit den Arbeitnehmer*innenverbänden, den
Gewerkschaften sowie den Unternehmen stehen. Zusätzlich müssen wir
Unterstützungsmaßnahmen ausbauen, um die Fachkräfte zu halten, die in den
betroffenen Bereichen bereits arbeiten. In den Sozial- und Erziehungsberufen
leistet der Einsatz der Alltagshelfer*innen bereits große Unterstützung. So
sorgen wir nicht nur für neue Fachkräfte, sondern entlasten auch die, die
bereits in dem Beruf tätig sind.
Nicht zuletzt müssen wir als Gesellschaft dazu beitragen, die Attraktivität der
Berufe durch eine wertschätzende Haltung zu steigern. Die Corona-Pandemie hat
uns stärker als je zuvor den essenziellen gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Stellenwert der Gesundheits-, Pflege-, Erziehungs- und
Lehrberufen vor Augen geführt. Gleichzeitig wurde hier auch für alle sichtbar,
welche strukturellen Schwierigkeiten in der Versorgung durch fehlende
Arbeitskräfte in den Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen herrschen. In Zeiten
des akuten Mangels an Handwerker*innen merkt spätestens jetzt jede*r, wie
systemrelevant auch diese Berufszweige für das wirtschaftliche Gefüge und das
Meistern der großen Transformationsaufgaben sind. Erst wenn wir diesen
Berufsgruppen mehr gesellschaftliche Anerkennung zollen und gute
Arbeitsbedingungen schaffen, werden sich – vor allem jüngere Menschen –
verstärkter diese Berufszweige bei ihrer Berufswahl in Erwägung ziehen.
Digitalisierung, KI und Robotik für die Menschen
Digitalisierung, KI und Robotik hat das Potenzial den Fachkräftemangel zu
reduzieren. Dabei geht es uns GRÜNEN NRW darum, Menschen von Arbeiten zu
entlasten und zu unterstützen und nicht Menschen bei der Arbeit zu ersetzen.
Digitalisierung und vor allem Künstliche Intelligenz kann von Routineaufgaben
auch in Handwerksbetrieben entlasten, z. B. bei der Buchhaltung,
Personalverwaltung oder der Angebotserstellung. Die Start-Up-Landschaft in NRW
nimmt hierbei eine potenzielle Innovationsfunktion ein, die wir als Land
unterstützen wollen.
Der digitale Produktpass wird für eingesetzte Materialien nicht nur
Weiterverkauf und Recycling erleichtern, sondern erlaubt auch, in Bezug auf
eingesetzte Produkte, informierte Entscheidungen zu treffen, z. B. zur
Kompatibilität verschiedener Materialien.
Fortschritte im Bereich der Robotik bieten die Chance, körperlich anstrengende
oder auch gefährliche Arbeiten zu erleichtern, sicherer zu machen oder sogar
ganz abzunehmen und können so zu Gesundheit und Arbeitszufriedenheit von
Handwerker*innen, Pflegenden oder Lagerist*innen beitragen. Um diese Vorteile
nutzen zu können, ist eine Vermittlung notwendiger Kompetenzen in Aus- und
Weiterbildung wichtig. Kooperationen zwischen Unternehmen, Handwerksbetrieben,
Hochschulen und Forschungseinrichtungen tragen dazu bei, aktuelle
Technologieentwicklungen zügig zum Einsatz in der Praxis zu bringen. Diese
Kooperationen wollen wir als Land NRW unterstützen.
Wir von Bündnis 90/Die Grünen NRW wollen:
- wo möglich und sinnvoll, die vorhandenen Fachkräfte in den verschiedenen
Sektoren in ihrem Alltag durch individuelle Helfer*innenmodelle gezielt
und dauerhaft verlässlich entlasten, etwa durch den Einsatz von
Verwaltungsassistent*innen oder von Koordinierungsstellen in Kammern
und/oder Innungen bei Antrags- und Förderungsstellung für die Unternehmen.
Diese Möglichkeit wollen wir durch verpflichtende Weiterbildungsprogramme
für Quereinsteiger*innen in den systemrelevanten Branchen ermöglichen.
- das Kita-Helfer-Programm verstetigen, damit sich pädagogische Fachkräfte
auf ihre pädagogische Arbeit konzentrieren können.
- gezielte Anreize schaffen, z. B. durch flexible Arbeitszeitmodelle, die
sich an die diversen Lebenssituationen anpassen und Arbeitsplätze
attraktiv machen.
- uns dafür einsetzen, dass frauendominierte Berufe durch bessere Aufstiegs-
und Weiterbildungsperspektiven gestärkt und durch eine bessere Bezahlung
aufgewertet werden.
- ein Umdenken in der Gesellschaft anstoßen, etwa durch Imagekampagnen, um
den systemrelevanten Berufszweigen die Anerkennung und Wertschätzung zu
zollen, die ihnen gebührt.
- den Präventionsaspekt in der täglichen Arbeit mehr in den Mittelpunkt
stellen. Es muss gelingen die aktuellen Fachkräfte gesund in ihrem System
zu halten, wiedereinzugliedern oder nach beispielsweise schwerwiegender
Krankheit berufliche Alternativen zu bieten.
Begründung
erfolgt mündlich