Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 24./25. Mai 2025 in Köln |
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Tagesordnungspunkt: | 3. Zuhause von 18 Millionen |
Antragsteller*in: | Landesvorstand NRW (dort beschlossen am: 11.04.2025) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 11.04.2025, 15:39 |
Z04: Damit die „Gurbet“ Zuhause bleibt
Antragstext
Nordrhein-Westfalen, so wie wir es heute als Zuhause kennen, haben wir auch den
vielen Gastarbeiter*innen, also die erste Generation der Arbeitsmigrant*innen,
die zu Beginn der Republikgründung nach Deutschland kamen, zu verdanken. 1955
wurde das erste Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Italien
geschlossen, also vor genau 70 Jahren. Es folgten weitere Abkommen mit Ländern
wie Griechenland, Spanien, Marokko, Südkorea, Portugal, Tunesien und
Jugoslawien. Im Jahr 1961 unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland und die
Türkei das Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften aus der Türkei. Dieses
Abkommen jährt sich 2026 zum 70. Mal.
Die erste Generation der Arbeitsmigrant*innen, die zwischen 1955 und 1970 nach
Deutschland kamen, lebt heute größtenteils im Senior*innenenalter. Viele von
ihnen verbrachten einen Großteil ihres Lebens hier, Deutschland ist für sie und
ihre Familien zur Heimat geworden. Diese Generation hat das heutige Nordrhein-
Westfalen maßgeblich mitgeprägt und ist ein wichtiger Bestandteil unserer
vielfältigen Gesellschaft heute. Wir haben als Land von einer offenen und
vielfältigen Gesellschaft profitiert, sie ist kulturell schlichtweg nicht
wegzudenken. Diese Offenheit gilt es auch weiterhin hochzuhalten, denn sonst
bleibt unserem Land die dringend nötige Einwanderung von Arbeits- und
Fachkräften aus dem Ausland vorbehalten.
Die sogenannten „Gastarbeiter*innen“ aus diesen Ländern leisteten einen
entscheidenden Beitrag zum wirtschaftlichen Aufstieg in der Nachkriegszeit. Doch
sie waren vor allem bereit, in physisch besonders anspruchsvollen
Wirtschaftssektoren unseres Bundeslandes zu arbeiten: im Bergbau oder in der
Stahl- und Automobilindustrie, in Bereichen, die nicht nur unseren Wohlstand
sichern, sondern auch kulturell feste Bestandteile unserer Identität und unseres
Zusammenlebens ausmachen. Unter schwierigen und gesundheitlich belastenden
Bedingungen, schlechten Wohnverhältnissen - oft auch unter langer Trennung von
Familie, aber zu oft auch unter vernachlässigten Arbeitssicherheitsstandards und
schlechteren Stundenlöhnen. Die Arbeitsniederlegung überwiegend türkeistämmiger
Arbeitnehmer*innen im Kölner Werk des Autoherstellers Ford für „1 DM mehr pro
Stunde“ im August 1973, erzählt auch die Geschichte ihrer Widerständigkeit,
bestehende Verhältnisse nicht einfach hinzunehmen.
Die Geschichte von Frauen unter den Arbeitsmigrant*innen, die einen erheblichen
Teil der Arbeitskräfte stellten, wird auch heute noch zu selten erzählt.
Migrantinnen fanden vor allem Beschäftigung in der Textil-, Bekleidungs-,
Nahrungs- und Genussmittelindustrie, aber auch in vielen gesundheitsschädlichen
Bereichen wie der Elektrotechnik und der Metallindustrie. Zudem gab es viele
Bereiche im weiblichen Dienstleistungssektor, in denen die tarifliche Regelung
entweder fehlte oder unzureichend war, wie zum Beispiel im Hotel- und
Gaststättengewerbe oder in der Hauswirtschaft. Irreguläre
Beschäftigungsverhältnisse spielten in diesen Sektoren eine relevante Rolle. So
sind ehemalige Gastarbeiterinnen, heutige Mitbürgerinnen im Rentenalter von
Altersarmut und anderen sozialen Folgen in besonderer Weise betroffen.
Auch im 70. Jahr nach Unterzeichnung der Anwerbeabkommen mit Italien, der Türkei
und den vielen weiteren Ländern ist die Würdigung der Lebensleistung von
Arbeitsmigrant*innen eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe. Sich für ihre
Belange einzusetzen, heißt, weiter für eine offene, plurale Gesellschaft
einzustehen und die zweiten, dritten, vierten und folgenden Generationen als die
Bereicherung unserer Gesellschaft anzuerkennen, die sie sind. Die Zugehörigkeit
der ersten Generation und ihrer Kinder zu Deutschland wurde von der
Mehrheitsgesellschaft lange bestritten und musste von ihnen in jahrzehntelangen
politischen Auseinandersetzungen und breiten gesellschaftlichen Bündnissen hart
erkämpft werden. Zusätzlich zu alltäglichem und strukturellem Rassismus erlebten
sie immer wieder Wellen von Hass und Ablehnung. So gehört die entschlossene
Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus dazu.
- die Interkulturelle Öffnung in den Institutionen der Altenpflege und -
hilfe nachhaltig voranzutreiben. Dazu gehört kultur- und
diskriminierungssensibele Pflege in den Rahmenlehrplan des Landes für die
Ausbildung zur Pflegefachkraft aufzunehmen. Ziel sollte die Entwicklung
einer kultur- und diskriminierungssensibeln Haltung sein. Bei der
Umsetzung kultur- und diskriminierungssensiblen Ansätze darauf zu achten,
dass niedrigschwellige, aufsuchende, muttersprachliche Informations- und
Beratungsangebote zur Verfügung stehen.
- Quartiersprojekte, die gegen die Vereinsamung im Alter arbeiten, für
ältere Menschen aller Herkunftsländer zu öffnen und diese speziell zu
fördern. Dabei darauf zu achten, aufsuchende Angebote zu etablieren, die
die Betroffenen direkt ansprechen. Wohnraum zur Verfügung zu stellen, der
altersgerecht, barrierefrei und vor allem sozial verträglich ist.
- Das Aufenthaltsrecht explizit für die erste Generation so zu gestalten,
dass sie nicht mehr dazu verpflichtet sind, im 6-Monats-Takt eine Einreise
in die Bundesrepublik vorzuweisen. Realität ist, dass gerade Seniorinnen
und Senioren, in ihren Geburtsländern eine längere Zeit im Jahr genießen
möchten. Eine derartige Neuregelung bedeutet eine Anerkennung ihrer
Lebenssituation und gebietet zudem den Respekt vor ihrer Lebensleistung.
Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NRW steht aber auch fest, dass wir uns gemeinsam und
parteiübergreifend weiterhin dafür einsetzen werden, Partizipation zu
ermöglichen und Diskriminierung und Rassismus zu bekämpfen. So haben wir uns in
der letzten Bundesregierung maßgeblich dafür eingesetzt, die Lebensleistung der
Gastarbeitergeneration auch damit anzuerkennen, dass wir die Einbürgerung für
sie erleichtert haben. Diese Erleichterungen gilt es jetzt auf Bundesebene von
NRW aus zu verteidigen, so auch im Bundesrat. Darüber hinaus werden wir uns
weiterhin dafür einsetzen: