Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 24./25. Mai 2025 in Köln |
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Tagesordnungspunkt: | 3. Zuhause von 18 Millionen |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 24.05.2025 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Stationäre Kinder- und Jugendhilfe in NRW zukunftssicher aufstellen
Beschlusstext
Stationäre Kinder- und Jugendhilfe in NRW
zukunftssicher aufstellen
Die stationäre Kinder- und Jugendhilfe spielt eine entscheidende Rolle bei der
Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die aus verschiedenen Gründen nicht
in ihren Herkunftsfamilien aufwachsen können. Diese Kinder und Jugendlichen
brauchen ein Umfeld und bestmögliche Bedingungen, um Erfahrungen zu verarbeiten,
Ressourcen zu entwickeln und Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. In den letzten
Jahren war die stationäre Kinder- und Jugendhilfe als Lebens- und Lernfeld sowie
als Arbeitsfeld besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Kommunale Jugendämter
sind überlastet und es ist eine tägliche Herausforderung, den Kinder- und
Jugendschutz zu jeder Zeit und flächendeckend sicherzustellen.
Für Kinder und Jugendliche, die aus ihren familiären Strukturen herausgenommen
werden müssen oder wenn sie sich eine andere Unterbringung wünschen, ist oft
keine wohnortnahe Unterbringung möglich. In wenigen Fällen ist eine weitere
Entfernung vom Wohnort zum Wohl der Jugendlichen und Kinder sinnvoll. In den
meisten Fällen ist es sinnvoll, wenn junge Menschen Bezüge zu ihrem sozialen
Umfeld in der Schule, mit Freund*innen und in Vereinen aufrechterhalten können.
Wenn es keine verfügbaren Plätze gibt, werden Unterbringungsmöglichkeiten im
gesamten Bundesgebiet gesucht und angefragt. Das ist ein belastender Aufwand für
die Mitarbeitenden im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der kommunalen
Jugendämter und eine Ungewissheit für die Kinder und Jugendlichen, die bereits
in einer krisenhaften Situation sind. Angebote wie “Die Freiplatzmeldung”
sollten besser bekannt gemacht und genutzt werden. Angekommen in den Gruppen
führt der steigende Personalmangel immer häufiger dazu, dass Gruppen am
Wochenende schließen müssen, und Kinder und Jugendliche kurzzeitig auf andere
Gruppen verteilt werden und es zu geplanter Überbelegung kommt. Hier braucht es
Antworten!
Eine davon ist die Fachkräfteoffensive unserer Ministerin Josefine Paul. Mit
„What the Future“ wird in der mehrjährigen Kampagne für Sozial- und
Erziehungsberufe geworben. Der erste Schwerpunkt ist die Berufswahlorientierung
von jungen Menschen, die für dieses spannende Arbeitsfeld begeistert werden
sollen. In den nächsten Schritten geht es auch um Erleichterungen des
Quereinstiegs und die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland.
Jugendliche und Kinder, die in Jugendhilfeeinrichtungen leben, haben besondere
Bedürfnisse. Um den Bedürfnissen dieser vulnerablen Gruppe gerecht zu werden,
ist es notwendig, die Rahmenbedingungen und die Qualität der stationären
Jugendhilfe zu verbessern, sich den aktuellen Aufgaben zu stellen und diese
zukunftssicher aufzustellen.
Wir setzen uns für eine zukunftssichere stationäre Kinder- und Jugendhilfe ein,
die junge Menschen in herausfordernden Lebenslagen verlässlich begleitet und
ihnen echte Chancen für ein selbstbestimmtes Leben bietet. Fachkräfte in diesem
wichtigen Arbeitsfeld verdienen unsere gesamte Unterstützung und Aufmerksamkeit.
Stationäre Jugendhilfe kann nur gemeinsam, ressortübergreifend und im
Schulterschluss funktionieren.
Deshalb setzen wir uns für auskömmliche Kommunalfinanzen ein. Der öffentliche
Träger der Jugendhilfe - das kommunale Jugendamt - muss in jedem Einzelfall die
Hilfen zur Verfügung stellen, die die Kinder und Jugendlichen benötigen.
1. Zukunft gelingt nur gemeinsam!
Die Herausforderungen und Probleme in der stationären Kinder- und Jugendhilfe
sind lange gewachsen und geprägt von transgenerationalen Traumatisierungen und
Erfahrungen. Wir wollen daher eine interne Arbeitsgruppe von beteiligten
Fachkräften, Politiker*innen und Jugendlichen einsetzen, die fachliche
Handlungsempfehlungen entwickelt. Hier gilt es nicht nur die Lebens- und
Arbeitsbedingungen in den Blick zu nehmen, sondern auch den bürokratischen
Aufwand.
Eine zukunftssichere stationäre Jugendhilfe braucht auch eine konsequente
Auseinandersetzung mit institutionellem Rassismus. Kinder und Jugendliche mit
Rassismuserfahrungen, insbesondere Schwarze Kinder und Jugendliche, People of
Color, Rom*nja und Sinti*zze, erleben häufig zusätzliche Belastungen und
Ausschlüsse. Wir setzen uns dafür ein, dass Einrichtungen und Fachkräfte durch
verbindliche Fortbildungen zu Rassismuskritik, Empowerment-Angeboten für
Betroffene sowie diversitätsbewusster Teamentwicklung gestärkt werden. Auch
Beschwerde- und Ombudssysteme müssen für betroffene Kinder niedrigschwellig
erreichbar und vertrauenswürdig sein.
2. Partizipation von Kindern und Jugendlichen aus der
stationären Jugendhilfe
Kinder und Jugendliche müssen an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt
werden. Unser Ziel ist hier klar: junge Menschen in der stationären Jugendhilfe
müssen in ihrer Selbstvertretung gestärkt werden, eine umfassende und inklusive
Teilhabe soll ermöglicht werden. Ein wichtiges Gremium dafür ist der
Jugendhilfeausschuss auf kommunaler Ebene. Hier gilt es, bestehende
Selbstvertretungen von Kindern und Jugendlichen, wie beispielsweise "Jugend
vertritt Jugend", in der stationären Kinder- und Jugendhilfe zu verankern. Dort,
wo sie bereits existieren, sollen sie weiter gestärkt und alle Voraussetzungen
für Teilhabe geschaffen werden. Dafür braucht es finanzielle und personelle
Ressourcen, um Vorlagen durchzusprechen, politische Verfahren zu erklären und
die Jugendlichen zu unterstützen und zu begleiten. Für uns GRÜNE NRW ist klar,
lasst uns miteinander statt übereinander reden und gemeinsam Lösungen
entwickeln.
3. Mit den Jugendämtern im Schulterschluss
Mitarbeitende im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) im Jugendamt tragen eine hohe
Verantwortung bei gleichzeitig immer stärker werdender Arbeitsbelastung und
Fällen mit multiplen Problemlagen. Hier heißt es: gegensteuern!
Wir wollen verstehen, wo Dokumentationspflichten und bürokratische Hürden in der
stationären Jugendhilfe reduziert werden können, damit Fachkräfte mehr Zeit für
die direkte Arbeit mit jungen Menschen haben. Ziel ist eine unbürokratische,
effiziente und zugleich qualitativ hochwertige Jugendhilfe.
Mit dem Landeskinderschutzgesetz hat Nordrhein-Westfalen das bundesweit stärkste
Gesetz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und Vernachlässigung
geschaffen. Mit diesem Gesetz stärken wir insbesondere die Strukturen vor Ort.
Durch Qualitätsentwicklungsverfahren und eine Qualitätsberatung werden die
Jugendämter konkret unterstützt. Darüber hinaus stärkt das
Landeskinderschutzgesetz die Kommunen auch finanziell.
Den Weg der strukturellen Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe müssen wir
konsequent weitergehen. Gerade bei komplexen Problemlagen braucht es eine klare
Identifikation dieser Fälle und eine Unterstützung der Mitarbeitenden durch
multiprofessionelle Teams (wie z.B. Psycholog*innen, Psychotherapeut*innen,
erfahrenen Einrichtungsleiter*innen), vermehrte Supervision und Fortbildung. Wir
GRÜNE NRW stehen dafür ein, die Mehrbelastungen in den Blick zu nehmen und
Grundlagen für Finanzierung und Realisierung zu schaffen. Nur so kann es uns
gelingen, den Kinder- und Jugendschutz weiter professionell sicherzustellen.
4. Nachhaltige Übergänge – Careleaver*innen im Fokus
Careleaver*innen verlassen als junge Erwachsene die stationäre Kinder- und
Jugendhilfe. Der Start in das eigene Leben ist für viele junge Menschen eine
Herausforderung, für junge Erwachsene aus der stationären Kinder- und
Jugendhilfe darüber hinaus noch mehr. Günstiger Wohnraum ist knapp, finanzielle
Ressourcen und Sicherheiten in ausreichendem Maße nicht aufgebaut, Startkapital
fehlt und die Sicherheit durch Strukturen fällt weg. Für alle jungen Erwachsenen
kann der Start ins eigene Leben scheitern und sie kehren nach Hause zurück.
Scheitert der Start für junge Erwachsene aus der stationären Kinder- und
Jugendhilfe, stehen sie vor großen Herausforderungen. Eine Rückkehr in die
stationäre Jugendhilfe ist grundsätzlich möglich, aber in der Realität aufgrund
mangelnder Plätze und mangelnder Finanzierung oft nicht realisierbar. In
extremen Situationen droht für die jungen Erwachsenen hier Wohnungslosigkeit.
Das verursacht Druck. Hier braucht es Lösungen, genug finanzielle und personelle
Ressourcen für gut begleitete Übergänge und eine gemeinsame Vereinbarung, keinen
jungen Menschen alleine zu lassen. Eine Möglichkeit wären Housing First Angebote
speziell für Heranwachsende. Zukunft kann nur ohne Angst und existenziellen
Druck gestaltet werden.
5. Perspektiven öffnen: Mehr Rechte, mehr Chancen
Als Grüne setzen wir uns mit voller Überzeugung dafür ein, dass Kinderrechte und
der Schutz von Kindern endlich die gesellschaftliche Aufmerksamkeit bekommen,
die sie verdienen. Wir begrüßen daher, dass die Schwarz-Grüne Landesregierung
den Einsatz eines unabhängige*n Beauftragte*n für Kinderschutz und Kinderrechte
auf den Weg gebracht hat.
Jugendliche und Kinder, die in stationären Jugendhilfeeinrichtungen leben und
die Fachkräfte, die mit ihnen arbeiten, stehen oft im Schatten der öffentlichen
Wahrnehmung. Uns sind sie aber wichtig! Sie sollten unsere Wertschätzung und
Unterstützung erhalten. Wir möchten Kommunen und Träger so ausstatten, dass sie
in hoher fachlicher Qualität, partizipativ und inklusiv arbeiten können.
Bürokratische Hürden möchten wir abbauen und Zugänge erleichtern.
Damit das Wohl der Kinder und Jugendlichen immer an erster Stelle steht.
6. Pflegekinder und besondere Bedarfe nicht vergessen
Ein großer Teil der Hilfen zur Erziehung findet außerhalb stationärer
Einrichtungen in Pflegefamilien statt. Gerade Pflegekinder mit besonderen
Bedürfnissen – etwa durch Traumatisierung, Behinderung oder chronische
Erkrankungen – brauchen passgenaue, gut ausgestattete Unterstützung.
Pflegefamilien leisten hier oft Außergewöhnliches und brauchen dafür mehr
Rückhalt.
Wir setzen uns für bessere finanzielle Ausstattung, gezielte Qualifizierung,
Zugang zu Supervision und Entlastungsangebote für Pflegeeltern ein. Für Kinder
mit komplexem Unterstützungsbedarf braucht es außerdem eine enge Kooperation
zwischen Pflegekinderdienst, ASD und Fachberatung – auch über das 18. Lebensjahr
hinaus.
Pflegekinder gehören genauso ins Zentrum der Jugendhilfe wie Kinder in
stationären Einrichtungen – ihre Perspektive muss mitgedacht und ihre Teilhabe
gesichert werden.