Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 24./25. Mai 2025 in Köln |
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Tagesordnungspunkt: | 8. Verschiedenes |
Antragsteller*in: | LAG Hochschulpolitik (dort beschlossen am: 09.04.2025) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 11.04.2025, 20:37 |
V-11: Demokratie stärken durch Wissenschaftsfreiheit
Antragstext
Die Freiheit der Wissenschaft gerät in verschiedenen Regionen der Welt zunehmend
unter Druck. So blicken wir mit großer Sorge auf die aktuellen Entwicklungen in
den USA: Die Trump-Administration greift die Wissenschaft zum Zwecke eines
rechten Kulturkampfes in den USA, bisher eine der forschungsstärksten Staaten
der Welt, gerade frontal an. Gezielte Budgetkürzungen und massenhafte
Entlassungen haben viele Forschungsbereiche bereits jetzt erheblich geschwächt.
Die Nationale Wissenschaftsstiftung (National Science Foundation, NSF) muss nun
alle Förderanträge nach verbotenen Wörtern durchsuchen. Dazu gehören Begriffe
wie Woman, Black, LGBT, Climate, Bias und Equality, während Begriffe wie White
und Man nicht auf der Liste stehen. Wird ein Begriff aus der Liste verbotener
Worte gefunden, muss manuell geprüft werden, ob ein Verstoß gegen Trumps Anti-
DEI-Richtlinie vorliegt. Die Förderung kann dann abgelehnt oder der Antrag so
geändert werden, dass der Begriff nicht mehr vorkommt. Die Forschung an Themen,
die vorrangig People of Color, Frauen oder marginalisierte Gruppen betreffen,
wird dadurch systematisch erschwert.
Der Angriff auf Wissenschaftsfreiheit ist dabei nicht zufällig: Wissenschaft ist
ein Wesenskern demokratischer und liberaler Gesellschaften. Unabhängige
Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind eine Voraussetzung für Freiheit.
Forschung und Wissenschaft ebnen den Weg zum Überwinden von Krisen, verbessern
Lebensbedingungen und steigern Innovation und Wirtschaftlichkeit.
Wissenschaftsfreiheit umfasst dabei die Freiheit von Forschung und Lehre sowie
des Lernens. Forschung und Lehre sollen ohne Abhängigkeit von Staat und Kirche
sowie Wirtschaft, aber auch ohne Bevormundung innerhalb der Wissenschaft
vonstattengehen. Sie ist das gemeinsame Wertefundament für
Forschungszusammenarbeit und internationale Kooperationen.
Auch in Deutschland ist in den letzten Jahren die Wissenschaftsfreiheit vermehrt
unter Druck geraten, wenn gleich nicht durch staatliche Verbote. Anfeindungen
durch Hassrede im Internet bis hin zu Morddrohungen, Genderverbote an
Hochschulen sowie die die Diskreditierung von Forschungsbereichen wie u.a. die
Gender- oder Klimaforschung sind Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit in
Deutschland. Dahinter stecken auch in Deutschland antiliberale Netzwerke, die
einen Kampf gegen freie Meinungsäußerungen und freie Forschung führen. Die
Vorgänge rund um die Fördermittel-Affäre des damals FDP-geführten BMBF haben
hierzulande zusätzlich das Vertrauen der Wissenschafts-Community in die Politik
strapaziert.
Es ist mehr als ein Grund zur Sorge, dass in den letzten Jahren die
Wissenschaftsfreiheit nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland laut dem
Academic Freedom Index (AFI) messbar abgenommen hat. In den vergangenen Jahren
rangierte Deutschland auf einem der vordersten Plätze. Jetzt ist es aus der
Spitzengruppe herausgefallen und landet auf Platz 27, hinter Ländern wie
Slowenien, Panama, Italien, Spanien und Österreich. Ganz vorn liegen Tschechien
und Estland.
Für uns ist klar: Wir setzen uns auf allen politischen Ebenen dafür ein,
Wissenschaftsfreiheit gegen die Einflussnahme antiliberaler Gruppierungen zu
schützen. Wissenschaftler*innen müssen auch in Zukunft frei von staatlicher
Repression, von Diskriminierung und Machtmissbrauch forschen und lehren können.
In diesem Zuge braucht es auch eine sichere Finanzierung von Forschung.
In einer Zeit zunehmender geopolitischer Spannungen und wachsender globaler
Herausforderungen wie Klimakrise, Pandemien oder Rohstoffsicherung ist Science
Diplomacy ein zentrales Instrument der deutschen Außen- und
Wissenschaftspolitik. Wissenschaft kennt keine Grenzen – und genau darin liegt
ihre besondere diplomatische Kraft. Sie ermöglicht Dialog, selbst dort, wo
klassische außenpolitische Kanäle versagen.
Gerade in Krisenzeiten zeigt sich die Bedeutung auswärtiger Kultur- und
Bildungspolitik. So leisten Mittlerorganisationen wie bspw. die Goethe-
Institute, der DAAD und die Alexander von Humboldt-Stiftung u.a. mit ihren
Programmen einen erheblichen Beitrag für den Schutz internationaler
Wissenschaftler*innen. Sie sichern Kommunikationskanäle auch in Länder, in denen
die Demokratie gefährdet ist. Deshalb braucht es auf Bundesebene eine
verlässliche Finanzierung und eine Dynamisierung der Mittel auch über die
nächsten Jahre hinaus.
Wissenschaftsfreiheit ist ein Standortvorteil. Es bietet sich die Chance,
internationale Wissenschaftler*innen für unseren Forschungs- und
Innovationsstandort zu gewinnen. Dafür müssen entsprechende Programme und
Kooperationen ausgebaut, unsere Wissenschaftsorganisationen gestärkt und
bürokratische Hürden – wie bei der Visa-Vergabe - abgebaut werden. Darüber
hinaus ist auch die Sicherung von Forschungsdaten und der wissenschaftliche
Zugang zu Datenbanken essentiell. Der Gefahr einer weiteren Einschränkung der
Wissenschaftsfreiheit in Deutschland muss entschieden entgegengetreten werden,
um den Vorsprung in Sachen Wissenschaftsfreiheit gegenüber anderen Ländern zu
sichern und auszubauen.
Eine breit angelegte Abwerbekampagne von Wissenschaftler*innen aus den USA ist
derzeit nicht zielführend. Vielmehr sollten bestehende Kontakte und
Kooperationen erhalten und gestärkt werden, um Wissenschaftler*innen bei ihren
demokratischen Initiativen zu unterstützen. Wir müssen anerkennen, dass die USA
nach wie vor führend in der Spitzenforschung sind und attraktive
Forschungsbedingungen bieten. Dies umfasst moderne Forschungsinfrastrukturen,
mehr Wagniskapital für Gründungen, verlässliche Karriereperspektiven, eine
höhere Bezahlung und eine große Akzeptanz von Dual-Career-Services, die es
Paaren ermöglichen, ihre Karrieren parallel zu verfolgen.
Spitzenforscher*innen aus den USA für unseren Forschungs- und
Innovationsstandort zu gewinnen, bietet eine enorme Chance. Dies darf aber nicht
zulasten heimischer Wissenschaftler*innen gehen und den ohnehin hochkompetetiven
Zugang zu Forschungsmitteln und -stellen sowie Karrierewege zusätzlich
verschärfen.
Für uns ist klar: Wissenschaft ist eine Brückenbauerin – dafür braucht sie
stabile Fundamente. Wir setzen uns ein für eine Stärkung internationaler
Wissenschaftskooperationen, den entschlossenen Abbau bürokratischer Hürden und
eine klare Absage an kurzfristige Abwerbekampagnen. Stattdessen setzen wir auf
starke Partnerschaften, gerechte Zugänge und echte Perspektiven – für heimische
wie internationale Forscher*innen gleichermaßen.
Wissenschaft lebt von Neugier, Kreativität und dem Mut, neue Wege zu gehen. Doch
echte Wissenschaftsfreiheit braucht mehr als nur Abwesenheit von Restriktion –
sie braucht verlässliche Strukturen, die Forscher*innen ermöglichen, unabhängig,
sicher und mit Perspektive arbeiten zu können. Deshalb ist die Verbesserung der
Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft eine zentrale Gerechtigkeitsfrage
und eine Voraussetzung für exzellente Forschung.
Der Alltag vieler Wissenschaftler*innen in Deutschland ist geprägt von
befristeten Verträgen, unsicheren Perspektiven und dem Druck, sich ständig neu
zu beweisen – oft zulasten von Kreativität, Diversität und Chancengleichheit.
Besonders junge Wissenschaftlerinnen, Menschen mit Care-Verantwortung oder aus
nicht-akademischen Familien trifft das aktuelle System hart. Wir setzen uns
dafür ein, dass wissenschaftliche Karrieren planbarer, sozial gerechter und
transparenter werden. Es braucht umfassende und strukturelle Reformen, die zu
einem echten Kulturwandel führen: Befristungen dürfen nicht mehr die Regel sein,
sondern müssen begründet und auf das wirklich Notwendige beschränkt werden.
Dauerstellen für Daueraufgaben sind ein Muss – gerade auch im Mittelbau.
Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen müssen durch
auskömmliche, verlässliche Finanzierung in die Lage versetzt werden, faire und
planbare Karrierewege zu bieten. Faire Bedingungen umfassen dabei sämtliche
Statusgruppen – auch Studierende.
Gelebte Wissenschaftsfreiheit bedeutet im weiteren Sinne auch, sich nicht
zwischen Familie und Beruf entscheiden zu müssen, sich nicht durch
Kettenbefristungen zermürben zu lassen und sich Forschungsthemen frei wählen zu
können – unabhängig von kurzfristigen Drittmittelvorgaben. Nur so entsteht Raum
für kritisches Denken, mutige Ideen und echte Innovation.
Ein Gradmesser für Wissenschaftsfreiheit ist auch, wie sicher sich Frauen und
marginalisierte Personen an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen in
Forschung, Lehre und Lernen fühlen. Die geplanten Änderungen der schwarzgrünen
Landesregierung am Hochschulgesetz sind eine wesentliche Maßnahme, um
strukturelle Barrieren für Frauen und marginalisierte Personen abzubauen und den
Schutz vor Diskriminierung, Machtmissbrauch und sexueller Gewalt an Hochschulen
zu stärken. Indem Hochschulen zu sicheren Orten des freien und Lernens, Lehrens
und Forschens gemacht werden, wird sichergestellt, dass alle Menschen,
unabhängig von Geschlecht, Religion, Herkunft oder Behinderung, sich sicherer
fühlen, ihre wissenschaftlichen Interessen zu verfolgen. Es braucht gezielte
Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene, die zur Förderung von Vielfalt, Inklusion
und Familienfreundlichkeit beitragen, und Diversität an Hochschulen aktiv
berücksichtigen und einbeziehen. Beispielsweise durch die geplante Anpassung von
Semesterzeiten und Urlaubsregeln, oder die weitergehende Unterstützung von
Studierenden mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen. So wird ein Umfeld
geschaffen, in dem sich alle Personen wissenschaftlich frei entfalten können.
Für uns ist klar: Wir wollen eine Wissenschaft, die Menschen nicht ausbrennt,
sondern inspiriert. Eine Wissenschaft, die Vielfalt fördert, statt
auszusortieren. Und eine Wissenschaftspolitik, die den Menschen in den
Mittelpunkt stellt – als Basis für ein demokratisches, zukunftsfähiges und
gerechtes Wissenschaftssystem. Wir setzen uns auf allen politischen Ebenen für
den Schutz vor Machtmissbrauch und Diskriminierung an unseren Hochschulen ein.
Dass gerade von Union und SPD die Forderung hochgehalten wird, im großen Stile
US-Forscher*innen anzuwerben, ist paradox. Denn auch auf Deutschland schauen
internationale Studierende und Wissenschaftler*innen mit zunehmender Sorge: Ein
Diskurs, wie ihn Union und SPD betreiben, der Abschiebungen im großen Stil
fordert, Menschen an der Grenze zurückzuweisen und den dauerhaften Aufenthalt
erschweren will, dabei gleichzeitig Errungenschaften einer offenen und
toleranten Gesellschaft wie das Selbstbestimmungsgesetz, Demokratieförderung
oder den Schutz vor Diskriminierung zurückdrehen will, macht Deutschland
unattraktiv für hochausgebildete Personen aus dem Ausland. Wo offener Rassismus
zum Alltag gehört, können sich auch internationale Studierende und
Wissenschaftler*innen nicht sicher fühlen. Der Umgang mit denjenigen, die am
meisten von Diskriminierung betroffen sind, ist ein Gradmesser für die Offenheit
einer Gesellschaft wie auch für die Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit.
Begründung
Wir sehen am Beispiel der USA, wie schnell die Wissenschaftsfreiheit auch in Demokratien unter Druck geraten kann. Vor dem Hintergrund immer stärker werdender Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit, welche auch national zunehmen, möchten wir ihren Schutz stärker in den Fokus rücken, um sie als hohes Gut unserer Gesellschaft zu stärken.