Veranstaltung: | Landesdelegiertenkonferenz 29./30. Juni 2024 in Oberhausen |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | Dringlichkeitsanträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 29.06.2024 |
Antragshistorie: | Version 3 |
Ein Aufschwung für Gerechtigkeit, Wirtschaft und Gesellschaft
Beschlusstext
Ein Aufschwung für Gerechtigkeit, Wirtschaft und Gesellschaft
Jahrzehntelang hat sich Deutschland in immer stärkere Abhängigkeit von fossilen
Energieimporten begeben. Nicht zuletzt die Abhängigkeit von günstigem Gas aus
Russland stieg zuletzt auf bis zu 55 Prozent und unterstützte damit jahrelang
ein System, das heute einen abscheulichen Krieg gegen die Ukraine führt,
unsagbares Leid verursacht und die gesamte Region destabilisiert. Diese Probleme
werden seit dem 24. Februar 2022 von Wirtschaft und Politik mit voller
Konsequenz adressiert. Unser Land aus dieser Abhängigkeit zu befreien, bindet
enorme politische und volkswirtschaftliche Kraft, Energiepreise sind gestiegen
und die Verunsicherung ist gewachsen, im Ergebnis zeigt sich eine Stagnation der
Wirtschaft.
Mit dem Krieg in der Ukraine stehen wir vor einer weiteren Herausforderung die
wir bewältigen müssen. Klima- und Biodiversitätskrise, der demografische Wandel
oder der Zustand unserer Infrastruktur, die wachsende soziale Ungleichheit und
der Rechtsruck, die Herausforderungen sind vielfältig wie nie.
Das verschärft die Situation der öffentlichen Haushalte. Ob im Bund, in den
Ländern oder in den Kommunen: Die Kassen sind angespannt, gleichzeitig ist der
Investitionsbedarf hoch wie nie.
Auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gehen wir GRÜNE konstruktiv und
verantwortungsvoll damit um und handeln entsprechend. Beim Lösen von
Investitionsbremsen durch Beschleunigung von Planungs- und
Genehmigungsverfahren, dem Abbau bürokratischer Lasten achten wir auf die
ausreichende Berücksichtigung von Umwelt- und Naturschutzbelangen und
Arbeitnehmer*inneninteressen sowie darauf, dass die Beteiligung von Bürger:innen
nicht gravierend eingeschränkt wird, um Transparenz und Akzeptanz zu
gewährleisten. Beim beschleunigten Aufbau einer klimaneutralen, günstigen und
widerstandsfähigen Energieversorgung priorisieren wir Aufgaben und Projekte
sorgfältig. Konkret heißt das zum Beispiel: Nicht jedes Förderprogramm, das
irgendwann einmal gestartet wurde, kann weiterlaufen. Nicht jedes wünschenswerte
Projekt kann wie geplant umgesetzt werden.
Grund dafür ist auch, dass vergangene Bundes- und Landesregierungen nicht
ausreichend für die Zukunft vorgesorgt haben. Es kommt auf uns Grüne an, jetzt
die angehäuften Probleme der Vergangenheit zu lösen. Wir zerschlagen zum
Beispiel mit unserem Vorschlag für eine Altschuldenregelung einen
jahrzehntelangen gordischen Knoten, der die Handlungsspielräume vieler Kommunen
massiv eingeschränkt hat. Jetzt ist auch die Bundesregierung gefordert, ihren
Anteil zu leisten. Die Grüne Bundestagsfraktion hat dazu bereits ihre
Bereitschaft erklärt, SPD und FDP müssen jetzt folgen.
Wir wollen das europäische Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode
in nationales Recht umsetzen. Damit stellen wir sicher, dass die Regelungen, die
noch ambitionierter Menschenrechts- und Umweltstandars setzen, als das deutsche
Gesetz, effektiv umgesetzt werden. Im Rahmen dieser Umsetzung wollen wir einen
gleichwertigen Übergang zwischen dem nationalen und europäischen Gesetz
schaffen.
Klar ist aber auch: Der Investitionsbedarf der Republik in die klimaneutrale
Transformation wird auf rund fünf Billionen Euro geschätzt, was jährlichen
Zusatzinvestitionen von etwa 191 Milliarden Euro entspricht. Die USA zeigen, mit
dem Inflation Reduction Act, dass dadurch ein enormer Aufschwung möglich ist,
von dem die Breite der Gesellschaft profitiert. Wir sollten diese Chance weder
liegen lassen noch den Anschluss daran. Dies bedeutet aber auch, unseren
Sozialstaat nicht zu schröpfen, sondern zu stärken. Die Sicherung der sozialen
Infrastruktur ist entscheidend, um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten und
langfristige Stabilität zu sichern. Wir müssen investieren; staatlich und
privat. Allein mit Einsparungen in den laufenden Haushalten sind diese Summen
nicht zu realisieren.
Gerade vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren kaum gestiegenen Reallöhne
der breiten Mehrheit mit unteren und mittleren Einkommen ist uns klar: Ohne eine
starke soziale Flankierung werden wir keine Akzeptanz für die notwendigen
Maßnahmen bei Klima- und Naturschutz erreichen. Im Gegenteil, eine radikale
Sparpolitik schädigt das Vertrauen in die Demokratie und befördert den
Rechtsruck. Mit Investitionen in die Daseinsvorsorge halten Demokrat*innen
dagegen. Für uns ist daher klar: Ein sozialpolitischer Kahlschlag kann nicht die
Antwort auf die Zeitenwende sein.
Dazu kommt, dass die Zeitenwende eine ganze Reihe neuer Ausgabenotwendigkeiten
mit sich bringt. Deutschland muss sich darauf einstellen, seine
Sicherheitsausgaben weiter zu steigern, um der wachsenden Bedrohung unserer
Sicherheits- und Friedensordnung wirksam entgegentreten zu können. Diese
Realität haben wir uns weder gewünscht noch ausgesucht.
Unter diesen neuen Realitäten bremst die Einhaltung der aktuell im Grundgesetz
verankerten Schuldenregeln das Land und seine Zukunftsfähigkeit. Notwendige
Investitionen in Infrastruktur, Transformationsprojekte und gesellschaftlichen
Zusammenhalt können nicht mehr im notwendigen Umfang finanziert werden. So ist
absehbar, dass unsere aktuellen Ausgaben noch nicht ausreichen werden, um unsere
internationalen Vereinbarungen beispielsweise im Rahmen des Pariser
Klimaabkommens, des Montreal-Abkommens für Biodiversität zu erreichen. Das
werden die Menschen in unserem Land spüren. So wie wir heute die versäumten
Investitionen der vergangenen 20 Jahre bemerken, werden wir in 20 Jahren mit den
versäumten Investitionen von heute umgehen müssen. Der Unterschied ist, dass die
notwendigen Investitionen, die heute getätigt werden müssen, nicht nur die
öffentliche Infrastruktur betreffen, sondern gleichzeitig in den Unternehmen
erfolgen müssen, um den Industriestandort Nordrhein-Westfalen erhalten zu
können.
Unser Staat hat grundsätzlich die Fähigkeit, finanzielle Sicherheit zu
gewährleisten, die weit über das hinausgeht, was privatwirtschaftliche
Unternehmen oder der freie Markt leisten können. Es ist daher unerlässlich, dass
er seine Handlungsfähigkeit aktiv unter Beweis stellt. Diese Handlungsfähigkeit
muss gesichert sein. Nur so kann der Staat seiner Rolle gerecht werden und die
notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um eine nachhaltige und
zukunftsorientierte Infrastruktur zu fördern.
Es wäre ein großer Fehler, diese Mehrausgaben dadurch zu finanzieren, die Axt an
die soziale Infrastruktur anzulegen, wie es jetzt einige fordern. Äußere
Sicherheit auf Kosten innerer oder sozialer Sicherheit zu erreichen, verbreitert
gesellschaftliche Gräben und wäre damit auch ein Konjunkturprogramm für
Demokratiefeinde. Genauso falsch wäre es, Deutschlands internationales
Engagement im humanitären, entwicklungs-, umwelt- oder klimapolitischen Bereich
abzuwickeln. Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die immer deutlicher
zutage tretenden Auswirkungen der Biodiversitäts- und Klimakrise - die Welt ist
heute eine andere als noch vor 20 Jahren. Dieser veränderten Welt kann man nicht
mit einer überholten Haushalts- und Finanzpolitik begegnen. Und doch wollen
einige weiterhin „Normalität“ simulieren, statt die neuen Realitäten auch
fiskalisch abzubilden. Die Schuldenregeln im Grundgesetz und in einigen
Landesverfassungen sind weder Naturgesetz noch göttliche Fügung. Sie waren vor
15 Jahren das Ergebnis einer Mehrheitsbildung als Folge der Finanzkrise. Sie
können angepasst werden – mit neuen Mehrheiten für neue Zeiten.
Die Notwendigkeit für eine fiskalpolitische Zeitenwende erkennen nicht nur wir.
In den vergangenen Monaten und im Lichte der wirtschaftlichen Lage fordern immer
mehr Expert*innen eine grundlegende Reform der Schuldenregeln. Konservative und
arbeitgebernahe Ökonom*innen, viele Unternehmen und ihre Verbände,
Gewerkschaften, der Sachverständigenrat (die „Wirtschaftsweisen“) und nicht
zuletzt Ministerpräsidenten der CDU - sie alle sprechen sich dafür aus, Kredite
über die bislang starren Grenzen hinaus zu ermöglichen. Renommierte
Volkswirtschaftler*innen schlagen eine Vermögenssteuer vor und sogar der Bund
der Steuerzahler spricht sich für einen höheren Spitzensteuersatz für
Einkommensmillionär*innen aus. Große Sozial- und Umweltverbände stützen unsere
Forderung nach Umsetzung des Ampel-Koalitionsvertrages mit der Einführung eines
Klimageldes in dieser Legislaturperiode.
Eine Anpassung der Schuldenbremse allein wird jedoch nicht ausreichen, um den
enormen Finanzierungsbedarf zu decken. Finanzkriminalität - insbesondere von
Banken - muss konsequenter ermittelt, vor Gericht gebracht und aufgearbeitet
werden. Durch Steuerhinterziehung verliert Deutschland schätzungsweise 100
Milliarden Euro pro Jahr. Viele dieser Fälle werden jedoch nicht aufgeklärt und
der Schaden nicht zurückgezahlt. Deshalb wollen wir die Strafverfolgung in
diesem Bereich deutlich ausbauen und die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften
stärken. Klima- und umweltschädliches Verhalten sollte der Staat nicht fördern.
Daher setzen wir uns für den Abbau klimaschädlicher Subventionen ein. Auch
Umweltlenkungsabgaben wären dazu geeignet, die Transformation zu gestalten und
die Gesellschaft daran gerecht zu beteiligen.
Darüber hinaus wollen wir die Erbschaftssteuer reformieren und Schlupflöcher für
Superreiche schließen. Außerdem sprechen wir uns weiterhin für die Einführung
einer verfassungskonformen Vermögensteuer aus. Wir wollen den Spitzensteuersatz
der Einkommenssteuer durch zwei zusätzliche Stufen erhöhen und gleichzeitig
erhöhen wir den Grundfreibetrag, der um kleine und mittlere Einkommen zu
entlasten.
Wir wollen den Menschen und den Unternehmen ihre Zuversicht wiedergeben. Deshalb
wollen wir öffentliche und private Investitionen fördern und den öffentlichen
Haushalten, insbesondere den Kommunen, wieder mehr Möglichkeiten geben, die
notwendige klimaneutrale und digitale Modernisierung aktiv zu unterstützen.
Als GRÜNE haben wir dazu auf allen Ebenen konstruktive Vorschläge gemacht,
appellieren an unsere Koalitionspartner*innen und Mitbewerber*innen, zum Wohle
unseres Landes gemeinsam einen Weg aus der verhärteten Debatte zu finden. Suchen
wir nach einem Schritt nach vorne, der es ermöglicht, die Probleme unsere Zeit
nicht auf den Rücken vulnerabler Gruppen zu lösen, sondern eine solidarische und
gerechte Lösung für alle zum Ziel hat.
Mona Neubaur hat als NRW-Wirtschaftsministerin einen Vorschlag für einen
Investitions-Booster zur Förderung privater Investitionen in klimafreundliche
Maßnahmen gemacht. Jedes Unternehmen, das in klimafreundliche Maßnahmen
investiert, soll darüber eine Steuergutschrift von 25 Prozent des
Investitionsbetrags über den Abschreibungszeitraum erhalten. Damit kann der
Staat mit jedem Euro das Dreifache an privaten Mitteln mobilisieren. Förderfähig
wären Maßnahmen wie Investitionen in Schieneninfrastruktur, Wasserstoffnetze,
energetische Gebäudesanierungen, Elektromobilität sowie Forschung und
Entwicklung. Damit orientiert sich der Investitions-Booster an einem
vergleichbaren Instrument des US-amerikanischen Inflation Reduction Act.
Die GRÜNE Bundestagsfraktion hat ihrerseits den „Deutschland-Investitionsfonds
für Bund, Länder und Kommunen“ als Vorschlag entwickelt. Mit diesem Fonds sollen
umfangreiche öffentliche Investitionen zweckgebunden in die Modernisierung und
Dekarbonisierung der Wirtschaft sowie in Zukunftstechnologien ermöglicht und
private Investitionen mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Der Fonds
soll wichtige Infrastrukturprojekte wie den Ausbau und die Elektrifizierung des
Schienennetzes, die Verbesserung der Radinfrastruktur und den Aufbau der
Wasserstoffinfrastruktur fördern. Zudem stellt er Mittel für Kommunen bereit, um
dringend notwendige Investitionen in Schulbauten, Krankenhäuser, den
öffentlichen Nahverkehr, bezahlbaren Wohnraum und Freizeiteinrichtungen zu
ermöglichen.
Mit dem Deutschlands-Investitionsfonds soll auch Ländern und Kommunen die
Möglichkeit eröffnet werden, ihre Zukunftsinvestitionen verstärkt über Kredite
zu finanzieren. Dazu könnte im Grundgesetz nicht nur der Verschuldungsspielraum
für den Bund, sondern auch für die Länder angepasst werden, die nach derzeitiger
Rechtslage keinerlei Schulden machen dürfen.
Den Vorschlägen gemein ist, dass sie eine klare soziale und wirtschaftliche
Zukunftsorientierung haben und damit ein Angebot an die Breite der politischen
Landschaft formulieren, indem sie
- Notwendige Investitionen erleichtern - öffentliche und private,
- Den staatlichen Haushalten, gerade auch den kommunalen,
Handlungsspielräume öffnen
- Transparent machen, was offensichtlich ist und Schluss machen mit dem
Streit um vermeintliche oder reale Buchungstricks,
- Ausgaben für wirtschaftlichen Wohlstand nicht ausspielen gegen jene in die
soziale Infrastruktur und damit den sozialen Frieden im Land wahren und
- soziale Gerechtigkeit als wesentliche Aufgabe bei der Bewältigung der
Transformationsherausforderungen in den Blick nehmen und
- Deutschland international anschlussfähig aufstellen und den
Wirtschaftsstandort im harten Wettbewerb um die Zukunftstechnologien und -
Industrien stärken.
Als GRÜNE in Nordrhein-Westfalen unterstützen wir diese Vorschläge und werben
aktiv dafür, die Debatte um eine zukunftsfähige Haushalts- und Finanzpolitik
offen und pragmatisch zu führen.